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Über Trigger, Freiheit und einen tiefen, klaren Brunnen

 Lange habe ich nicht mehr geschrieben. Zu sehr gefangen war ich in der Aufgabe für mich und meine Familie die Coronazeit zu managen. Homeschooling zu unterstützung, emotionalen Support zu geben, was es da eben alles braucht. Die Zeit, die geblieben ist, habe ich in andere Projekte gesteckt, vor allem mein Studium und mein Buchprojekt.

 

Jetz aber in der letzten Woche, wo Schule wieder möglich wurde, bin ich entlasteter und habe gleich gedacht, es wird Zeit mich mal wieder zu melden.

 Und heute tue ich es, einfach weil ich es gerade brauche zu schreiben.

 

Ein Unglück kommt selten alleine sagt man und ja, in meinem Leben kommen sie immer zu dritt. So auch diese mal und ich habe auf das dritte schon gewartet, als die ersten zwei durch waren. Vielleicht hat sich das Leben gedacht, jetzt ist es mal an der Zeit zu überprüfen, wie stabil wir wirklich sind. Ich weiß es nicht, aber ein Teil von mir ist gerade selbst gespannt, wie wir aus der aktuellen Welle rauskommen.

 

In der letzten Woche sind durch echt doofe Umstände gleich zwei heftige Triggerpunkte bei mir gedrückt worden. Es ist für mich sehr deutlich eine Grenze überschritten worden und gleichzeitig ein Zweifel an mit selbst wachgerufen worden, in meine Rolle und meiner Fähigkeit als Mutter, den ich gut im Griff hatte, der mir aber sehr gefährlich werden kann. Schnell kommen intensive Gedanke, meine Familie ist ohne mich besser dran und ich bin überflüssig und nur eine Belastung. Das habe ich Gott sei Dank intensiv in der stationären Therapie bearbeitet und auch den Auslöser für diese hefigen und völlig unbegründeten Gefühle gefunden und bearbeitet. Darüber bin ich sehr froh, denn der Crash versuchte zu kommen, aber ich hatte gute Gegenmaßnahmen zur Hand.

Eine davon ist es sozialen Kontakt, ein Gespräch zu suchen. Die Gefühle auszusprechen zu können und zu dürfen und so zu rationalisierten. Ich bin stolz auf mich, dass ich das hinbekommen habe. Vor nicht allzu langer Zeit wäre das undenkbar gewesen, so nach außen zu treten. Leider endete das darin, dass der Raum, den ich für das Gespräch gewählt hatte, nicht so sicher war, wie ich erwartet hatte. Der zweite Trigger wurde gedrückt. Vertrauensverlust. Informationsfluss hin der meinem Rücken. Sofort die Angst, am Ende als die Böse, die Ausgestoßene, dazustehen. Einmal mehr Tatsachen verdreht werden und wir als schuldig, lästig, unmöglich, unverschämt angesehen werden und an den Rand der Gruppe und der Glaubwürdigkeit gedrängt zu werden. Zu oft haben wir das erlebt und dass es nun wieder in meinem direkten Helfernetzwerk passiert ist, lässt verzweifeln und destabilisiert.

Nicht nur das Geschehen selbst, sondern auch der Verlust von Unterstützung, die sicher geglaubt war, wirkt schwer. Tja, und da es erst zwei waren, blieb das dritte Unglück abzuwarten und eigentlich will ich darüber schreiben.

 

Ich weiß gar nicht in welchen Zustand wir uns gerade befinden. Im freien Fall, total kontrolliert, emotional, stabil, verwirrt. Von allem etwas und alles gleichzeitig ist anzunehmen. Aber ich kann es kaum wahrnehmen. Es ist das passiert, wo vor ich sehr viel Angst hatte und was der Hauptgrund war, warum ich vor vier Jahren die Therapie angefangen habe. Ich wusste, dass ich mich mit unserer Geschichte und dem Täterkreis gut auseinandergesetzt haben muss, vor allem der Rolle meiner Eltern  und insbesondere mit meinem Vater, bevor dieser die Lebenden verlässt.

 

Vor vier Jahren, dass wusste ich, war meine Innenleben noch so verstrickt mit der Täterseite, dass ein Ableben eines meiner Elternteile, vor allem dem meines Vaters, mich in eine für mich gefährliche Situation bringen würde. Ich wusste instinktiv, dass ich mich retten musste, bevor dieser Tag kam. Und ich wusste auch, dass mein Vater krank war und mir maximal fünf Jahre gegeben waren, mich zu retten.

 

Heute kam die Nachricht, dass mein Vater, der der Haupttäter an mir ist und mich systematisch abgerichtet und zerstört hat, der den Grundstein für andere gelegt hat, die folgten und mich diesen ausgeliefert hat ist verstorben.

 

Bin ich ein schlechter Mensch, dass meine erste Gefühlsregung Freude war? Genugtuung? Das Bild im Kopf, dass er sich nun einer überirdischen Gerichtbarkeit stellen muss, vor der es kein Lügen, Entschulden und Rationalisierten geben wird. Die direkt in seine Seele gesehen wird und entsprechend gerichtet wird, was auch immer das heißt.

Es gibt keinen irdischen Richterspruch, weile es noch nicht einmal eine Anklage gibt. Weil ich es gar nicht versucht habe, weil ich wusste ich habe keine Chance. Aber dennoch fühle ich mich nun im tiefsten Inneren endlich gehört und unterstütz und in irgendeiner Form gerächt. Tief in dem Glauben, dass er sich für das was er im Leben getan hat in irgendeiner Weise verantworten muss.

 

Bin ich ein schlechter Mensch, weil ich keinen Verlust empfinde? Mir zeigt das nur, dass ich die seltsamen inneren Verstrickungen lösen konnte. Dass ich tatsächlich unabhängig bin, es geschafft habe mich auf eine Seite zu stellen und nicht mehr innerlich zerrissen bin, im Hinblick auf die Frage, wer ist der Täter und wer ist das Opfer gewesen. Von außen sicher nicht vorstellbar, dass da überhaupt Zweifel bestehen kann, aber die Verwirrung, die bewusst von Tätern im inneren von Betroffenen gestiftet wird, ist eine sehr effektiver Täterschutz.

Immer hatte ich auf das Gefühl, dass meine Lebenspanne und die meines Vaters direkt zusammenhängt, als wäre ich so anhängig, dass ich nicht ohne in leben kann, oder nicht ohne ihn leben darf.

Aber ich sitze hier und leben und atme und ich bin in Sicherheit und losgelöst von den Tätern.

 

Fühle ich Trauer? Ja, aber nicht die Trauer um den Verlust der Person, sondern die Trauer darum, nicht zu Wissen wie es ist ein geliebtes Elternteil zu verlieren. Diese Nähe und diese Vertrautheit und damit der schmerzhafte Verlust eben dieser Bindung ist mir nicht vergönnt gewesen.

 

Bin ich wütend? Ja, bin ich. Und vielleicht kann ich es auch ein erstes Mal überhaupt wirklich sein. Denn Wut war nicht erlaubt. Aber nun ist keiner mehr da, der sie mir verbieten kann und so kann ich wütend sein. Und es ist auch keiner da, der die Wut auf mich zurückwirft. Keiner der mich nötigt, die Wut gegen mich selbst zu richten.

Und noch etwas regt sich da in mir. Die Wut, dass es mit nicht vergönnt war es selbst zu tun. Ihn selbst zu richten. Ich weiß, dass er zum Lebensende hin gelitten hat. Ich gönne mir den Gedanken, dass er es hätte auch noch länger tun dürfen, wenn ich hätte entscheiden dürfen. Ich bin eigentlich kein Mensch für Rache, ich bin immer für Vergebung. Aber bevor ich vergebe, gönne ich mir die Fantasie, was ich gemacht hätte, wenn ich die Macht hätte haben dürfen über sein Leben zu richten. Sie ist nicht sehr blutrünstig oder dramatisch. Eher sehr klar und sehr bewusst. Aber dass ich sie mir erlaube und ich nicht für die schäme, ist ein weiterer sehr großer Schritt.

 

Selbst nachdem ich das aller jetzt geschrieben habe, bin ich seltsam unberührt von dem Ganzen. Ich bin froh, dass ich es weiß. Dass ich Klarheit habe, dass es so ist, dass er nicht mehr unter und weilt. Aber ich fühle kein Leid darüber, dass es so ist. Die Welt aber kommt mir ein bisschen heller und freundlicher vor und in meinem Inneren bin ich erfüllt von Licht und Gesang der Freiheit und ich weiß, ich bin kein schlechter Mensch. Ich bin ein freier, selbstbestimmter und innerlich aufrichtiger Mensch und das zusammen ist wie ein tiefer klarer Brunnen, gespeist aus einem großen, tiefen und klaren inneren See, aus dem ich schöpfen kann. Eine unermessliche innere Ressource.

 

 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    MissGrits (Donnerstag, 28 April 2022)

    Schöner Text! Viel Kraft dir! Und das dritte Umglück war ja keines.

    Es ist ja nun eine Weile her, und so wie du schreibst, bin ich mir fast sicher, dass sich die Dinge zum Positiven entwickelt haben - also auch aus den beiden ersten kleineren Unglücken mit der Zeit etwas sich entwickeln konnte, dass dich noch klarer, ruhiger und stärker hat werden lassen.

  • #2

    Ela VieleLeben (Dienstag, 17 Mai 2022 20:41)

    Hallo MissGrits,

    danke für die Rückmeldung zu dem Text. Ich freue mich immer sehr, wenn ich mitbekomme das Texte auch gelesen werden. Ich habe ihn gerade selbst noch einmal gelesen. Ja es hat sich vieles zum Positiven gewandelt und wandelt sich noch.
    Ich kann nur jedem raten es lohn sich,sich auf den Weg zu machen und Mut zu haben zu sehen.

    Liebe Grüße Ela

  • #3

    Mou (Donnerstag, 07 September 2023 18:56)

    Hallo Ela, danke für deinen Text - auch wenn er schon über 2 Jahre alt ist, ist er doch aktuell für alle, die ähnliche Erfahrungen machen. Deine Worte ermutigen, zu fühlen, was immer gefühlt wird angesichts des Todes eines Vaters, der initialer Taeter war. Eine Frage: Ist er in eurem Inneren tatsächlich weg? Gab/gibt es in eurem Inneren ein Introjekt von ihm? Falls ja, hat sich das durch seinen äußeren Tod verändert?
    Vielen Dank für eure VieleLeben-Seite!

  • #4

    Ela (Freitag, 15 September 2023 21:51)

    Hallo Mou,

    ich beantwort dir deine Fragen gerne. Schick mir gerne eine Mail an vielelebenblog@web.de, dann kann ich dir gut antworten. Hier wird das zu lang.

    LG Ela