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Über Ohnmacht, den Wert von Menschlichkeit und das Puzzlen und Schleifen von Steinen

Die letzten Wochen war es hier eher still. In der Therapie bin ich in der Phase der Konfrontation angekommen. Die Themen, die da besprochen werden, sind nicht einfach und gehören nicht hier in die Öffentlichkeit.

 

Ich war in vielen Teilen so sehr darauf konzentriert, dass mir entgangen ist, wieviel im Alltag gerade läuft, was mich auch emotional an piekst. Ich habe, auch unter den Umständen von Corona, gut funktioniert. Ich muss gut funktionieren für andere. Vor allem für meine Kinder.

 

Nun aber war gestern der Tag, an dem der eine Punkt zu viel dazu kam, der das Fass, in dem Fall endlich die Tränen, die sich tief im Inneren gesammelt hatten, hat herausbrechen lassen. Gott sei Dank. Es war offensichtlich überfällig.

 

Was es ist, dass so viel Energie geraubt hat und mich emotional mehr betroffen gemacht hat, als ich, in meiner Art der Abspaltung, wahrnehmen konnte? Ich will versuchen es zu beschreiben.

 

Ich habe von fast einem Jahr die ersten Anträge losgetreten, die sicherstellen sollen, dass meine Familie nicht vollständig auf Finanzierung, die von mir beigetragen wird, zu verzichten. Dazu gehört die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises, ein Antrag nach Entschädigung aus dem Opfer Entschädigungsgesetz und nun aktuell auch ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente und zur Übergangsfinanzierung auch ein Antrag auf Arbeitslosengeld. Wie schwer das alles insgesamt ist und sehr wenig mit meinem alten Selbstbild zusammenpasst, ist für alle nachvollziehbar, die mich kennen. Dennoch, es muss eben sein.

 

Ich möchte als erstes sagen, dass ich sehr froh und dankbar bin in einem Land zu leben, wo diese Unterstützung überhaupt möglich ist. Nur das ermöglicht es mir, theoretisch und sofern den Anträgen stattgegeben wird, mich für eine Weile auf die Therapie, das Gesundwerden und meine Rolle als Mutter zu beschränken. Viele Betroffene haben mich gewarnt vor dem Weg und haben immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass der Weg, mit Wiederspruchverfahren und oft sogar mit Klagen verbunden, sehr anstrengend sein wird. Dass er viele Trigger beinhaltet für Betroffene von Missbrauch. Ich habe mich dennoch getraut und habe auch geschrieben, dass ich mein eigenes Erleben gerne wiedergeben möchte. Nun ist es zum ersten Mal soweit.

Nicht zuletzt bin ich, auch wenn es sich wie ein altes Leben oder ein früheres Leben anfühlt, Projektmanagerin, Managerin im Allgemeinen und darin nicht schlecht. Ich bin sicher besser aufgestellt als viele andere Betroffene. Ich habe mich dem Weg gewachsen gefühlt.

 

Das mich das dann gestern so sehr die Emotionen eingeholt haben, macht es heute nötig darüber einmal zu reflektieren.

 

Es war in den letzten Wochen, und gerade auch nach dem Klinikaufenthalt, sehr anstrengend in einer Warteschleife zu sein. Ich musste auf den Arztbrief warten, der einfach nicht fertig werden wollte, der aber wie ein Strohhalm für mich ist, dafür, dass das Wiederspruchverfahren, in dem ich zur Schwerbehinderung schon stecke, doch noch positiv für mich ausfallen könnte. Davon wiederum hängt direkt ab, wie hoch eine etwaige Zahlung aus dem OEG ausfällt, in dessen Verfahrensrahmen ich inzwischen "überlebt" habe, detaillierte Schilderungen von Tathergängen anzufertigen und für die am Verfahren beteiligten Stellen und Personen zur Verfügung stelle. Eine Entblößung im höchsten Maße. Auch brauchte ich diesen Brief, um den eigentlichen Prozess für den OEG Antrag weiter anzuschieben, denn dieser Schritt der detaillierten Schilderungen hat nicht ausgereicht. Es war nicht genug, vielleicht auch nicht glaubhaft? Ich weiß es nicht. Man hat mich nur wissen lassen, dass es nicht reicht, um entschädigt zu werden. Ich weiß gar nicht was ich dazu schreiben soll. Es macht mich einfach nur sprachlos. Es ist eine Wiederholung. Wir werden nicht gehört, nicht für voll genommen. Dass nun Angehörige befragt werden sollen, steht in direktem Gegensatz zu der von Seiten aller Therapeuten strikt empfohlenen totalen Kontaktabbruch zu Täterkreisen. Machtlos…Sackgasse? Was bleibt ist der Versuch, doch noch die Therapeuten über Atteste und Arztbriefe sprechen zu lassen.

 

In dieser Zeit wo ich genau auf diesen gewartet hatte, wurde mir unter anderem ein Erinnerungsschreiben zugeschickt, in dem das Streichen von möglichen Leistungen angekündigt wurde, in Kombination mit dem Vorwurf absichtlich den Prozess zu verzögern und nicht angemessen zu unterstützen. Und dass, obwohl ich zweimal aktiv mich gemeldet hatte und Bescheid gegeben hatte, dass ich auf diesen Arztbrief warten muss. Wieder das Gefühl der Machlosigkeit, der Abgestumpftheit gegenüber dem was ich mitteile, was ich sage. Nicht sehen, dass ich versuche aktiv zu gestalten und mitzudenken, "brav" zu sein. Das ist schwer auszuhalten.

 

Rückwirkend ist mir bewusst, dass ich mich, auch in meine Tiefen, in diesen Moment schon angefangen haben nicht wahrgenommen und gehört zu fühlen. Ebenso missverstanden. Und letztendlich ausgeliefert. Massive Trigger. Ich konnte nichts mehr machen, ich war zu 100% von Anderen abhängig. Es blieb mir nur das Vertrauen, dass schon alles gut werden wird. Etwas was schwer fällt. Vertrauen.

 

Der Arztbrief kam schließlich und ich konnte alle Anträge endlich fertig machen und in die Post stecken. Ein Befreiungsschlag. Erleichterung, denn ich konnte endlich weiter aktiv etwas tun.

Dann der Nächste Schritt, jetzt da die Aussteuerung aus dem Krankengeld ansteht. Da es durch Corona nicht anders möglich war, war ich sehr dankbar dafür, dass ich sowohl den Rentenantrag als auch den Antrag auf Arbeitslosengeld per Telefon stellen konnte. Für den Arbeitslosengeldantrag musst ich, laut dem Telefonat, nur noch das Schreiben der Krankenkasse, der den Aussteuerungstermin anzeigt, abgeben, wenn die das Arbeitsamt wieder geöffnet ist. Ich war positiv überrascht und habe so vertraut, dass alles auf dem Weg ist. Also habe ich angerufen, jetzt diese Woche, um genau zu erfragen wo ich das Schrieben nun hinbringen soll.

 

Der nächste Schlag: Es wurde kein Antrag gestellt. Was auch immer der erste Arbeitsamt Mitarbeiter am Telefon wirklich mit mir gemacht hat, es war nicht da und, so die Aussage des zweiten, auch gar nicht zulässig. Für mich ein Schock. Hätte ich nicht nachgefragt, dann wäre der Antrag weiter nicht erfolgt und ich hätte zusehen können, wie ich mich übergangsweise finanziere.

Zudem kam die ergänzende Information, dass ich nicht nur vom Rentenverbund, sondern auch vom Arbeitsamt eine Begutachtung ansteht. Also musste ich nun einmal mehr eine Schweigepflichtentbindung für alle meine Therapeuten schreiben und die Arztbriefe mitschicken. Mich begutachten lassen, rechtfertigen. Gemäß der Erkrankung und deren Ursachen, stehen in den Arztbriefen zum Teil sehr persönliche Details. Manchmal frage ich mich, wozu überhaupt eine Schweigepflicht besteht, wenn man sie für jeden behördlichen Antrag so oder so aufheben muss. Wenn man etwas Hilfe möchte, bleibt es einem nichts anderes übrig, als sich vollständig zu entblößen. Sich schutzlos auszuliefern. Trigger!

 

Alle Anträge sind nun unterwegs und ja es fühlt sich an, als würde ich nackt dastehen und warten, auf dass was nun passiert. Gesteigert wurde das gestern dann noch von einem Schreiben von der Behindertenstelle. Das Wiederspruchverfahren ist nun abgeschlossen. Es erfolgt nun eine medizinische Beurteilung. Ich solle mich bitte gedulden, bis das Urteil auch mir mitgeteilt werden kann.

 

Nackt, wartend, ausgeliefert, be- oder verurteilt, im ungewissen gelassen. Ja, das kennen wir aus der Vergangenheit.

 

Aber irgendwo ist da auch die Wut und der Wunsch, sich nicht geschlagen zu geben, sondern es tut gut, endlich auch einmal aktiv etwas für uns zu tun. Uns zu wehren, uns mitzuteilen. Auch wenn wir dafür ein unangenehmes Maß an Entblößung in Kauf nehmen müssen. Das haben wir bisher immer überlebt und werden es auch heute wieder tun! Es ist noch Kraft und Mut und auch ein Stückchen Vertrauen da.

Und das wurde gestern massiv untergraben. Der letzte Schlag kam gestern von jemandem, dem ich wirklich blind vertraut habe. Etwas, was ich sehr, sehr lange nicht mehr zugelassen habe. Wo ich jemanden nahe an mich, an mein Inneres, herangelassen habe. Verletzlich war. Schutz zugunsten von Menschlichkeit und Nähe aufgegeben habe.

In dem Moment, wo ich Unterstützung gebraucht habe, wo ich auf Menschlichkeit gehofft habe, auf Anerkennung, ohne mich anbiedern zu müssen, wurde ich enttäuscht. Auf einmal ging es um nichts menschliches mehr, sondern um meine Abwesenheit und um meinen nicht erfolgten Beitrag zu Umsatzzielen.

Wenn es hart auf hart kommt, dann zählt plötzlich nicht Menschlichkeit, Engagement, ja ein Stückchen in Vorleistung zu gehen und darauf zu vertrauen, dass es nicht ausgenutzt wird, sondern nur harte Fakten. Ich habe das Spiel falsch gespielt. Ich habe vertraut, nicht sachlich und vorsorglich gehandelt. Meine Rechte sichergestellt. Ich habe nach langem wieder wirklich vertraut.  Der Schlag hat sehr wehgetan. Vor allem weil es das letzte war, was ich erwartet hatte.

 

Vertrauensbruch. Etwas, was schwerer wiegt als fast alles andere und das Puzzle der Trigger vervollständigt hat. Ich hatte seit ein paar Tagen geahnt, dass es so kommen würde. Es war nur mich Hilfe möglich mir der Tatsache zu stellen, dass es auch wirklich so ist. Zu sehr wollte ich weglaufen, mich nicht konfrontieren. Wissend, was es für mich bedeutet, wenn es wirklich so kommt. Aber wir sind eben nun in der Phase der Konfrontation und so musste auch diese sein.

Weil ich ein Mensch bin, der nicht anders kann als Dinge positive zu sehen, kann ich es heute insofern positiv sehen, als dass mich dieser letzte Punkt wieder mit den Emotionen anderer Anteile in Kontakt gebracht hat. Ich hasse es, mich diesen, aus dem tiefen Inneren herausbrechenden Affekte immer wieder stellen zu müssen.

 

Ich hasse es, zu fühlen, dass die Beine nicht mehr tragen können, dass der Körper sich unter dem seelischen Schmerz, der irgendwo unter dem Solarplexus hervorkommt, zusammenkrümmt. Ich hasse es, zu spüren, wie sich alles zusammenzieht, wie die Hände anfangen zu zittern und das Atmen nur noch stoßweise erfolgen kann. Es ist kein Weinen, es ist mehr ein Keuchen, die schwere Geburt ein paar wenigen Tränen, die dann fließen dürfen. Und ich im Hier und Jetzt fühle mich den alten Gefühlen ausgeliefert. Aber ich trage es inzwischen in dem Wissen, dass es erst heute nach und nach möglich wird für die anderen Anteile in mir, sich im Hier und Jetzt ausdrücken zu können und zu dürfen. Was so lange im Verborgenen liegen musste, darf nach und nach gesagt und ausgedrückt werden. Jedes Mal ist es eine kleine Schicht, die von einem riesigen Stein, der nach und nach erst zusammengesetzt wird und dann abgeschliffen werden kann und darf. Deswegen ertrage ich es, mit einem gewissen Maß an Erleichterung, aber auch mit dem Bewusstsein, wir verdammt groß dieses Steinpuzzle ist und wie wenig erst abgeschliffen werden kann. Es ist schwer, dann nicht in Mutlosigkeit und Hoffnungslosigkeit zu versinken.

 

Ich kann die Anspannung, die damit einhergeht, immer noch fühlen. Sie hat meine Körper immer noch nicht verlassen. Etwas, was mir spätestens in ein paar Tagen Schmerzen bereiten wird, wenn ich es nicht noch hinbekomme, sie verschwinden zu lassen. Aber ich kann es nicht ändern.

 

Das andere was positiv ist: Ich habe eine Antwort gefunden. Ich habe diesen Vertrauensbruch nicht still und schweigend hingenommen. Es ist nicht zu erklären, dass jemand, der Vorträge und Schulungen hält, mit schlafwandlerischer Sicherheit, in solchen Momenten nicht mehr zur Sprache fähig ist. Nicht mehr für sich einstehen kann.  Aber dieses Mal konnte mein Kopf und meine Hände eine Antwort formulieren. Nach etwas Schützenhilfe von außen. Eben weil eigentlich Vertrauen in dieser Beziehung da ist. Und dass sogar, ohne die blinde Wut, die auch irgendwo da drinnen tobt, agieren zu lassen.

 

Ich will für diese Beziehung trotz des Vertrauensbruchs kämpfen. Ich weiß, dass es nicht böswillig war. Ein riesiger Schritt aus der Passivität aus der Auslieferung heraus!


Das alles zeigt, wie unfähig ich als Betroffenen bin, meine Situation und alles was daran hängt, meine Schwächen, meine Ängste, mögliche Trigger, sichtbar werde zu lassen für andere. Worte zu finden. Sprachfähig zu werden. Selbst in vertrauensvollen Beziehungen. Ein Meideverhalten. Zu sehr ist da direkt das Gefühl ausgeliefert zu sein. Auch die Angst abgestraft zu werden, dafür, sich gegen Autorität durchzusetzen. Aber ich habe gestern etwas entgegen zu setzten gehabt. Ich habe mich erklärt, ohne zu wüten und mich den emotionalen Abgründen stellend. Ich sollte stolz auf uns sein und es gibt vielleicht Hoffnung für das alles, durch das ich noch durchmuss. Gutachtertermine.

 

Ich versteh nach und nach, dass mich das alles, die Integration meiner Vergangenheit in meine bewusste Biografie, mich vollständiger menschlich und erwachsener macht, als ich es je zuvor war. Diese Menschlichkeit und das Nachholen des emotionalen Erwachsenwerdens ist anstrengend aber wertvoll. Ich lerne nach und nach Dinge, die für andere Erwachsene selbstverständlich sind. Für mich werden sie es vielleicht irgendwann sein.

Ich werde durch dieses nachholen und die sonderbare Verletzlichkeit unfreiwillig zu einer Botschafterin der Menschlichkeit, der Verletzlichkeit und der Sorgfalt im Umgang miteinander. Ich will versuchen es zu sein. Aber mir ist gestern auch noch einmal klargeworden, das ich das nur sein kann, wenn ich mich auch mit meiner spezifischen Menschlichkeit, meiner eigenen Art der Verletzlichkeit sichtbar mache. Und mit einem gewissen Maß an Vertrauen in die Welt durch ebendiese gehe. Für uns eine Mamut Aufgabe, der wir uns aber irgendwie doch stellen müssen.

 

Ich hoffe sehr, dass ich am Ende nicht vollständig ernüchtert sein werde und diese Menschlichkeit so gar keine Resonanz finden wird. Nur die Zeit wird es zeigen.

 

 

 

Ela+

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Dontknow (Freitag, 14 August 2020 22:19)

    Liebe Ela, liebe Viele, ich/wir sind ganz bewegt. Ich mache derzeit den gleichen Prozess durch wie du/ihr. Im alten Leben leitende Angestellte, Mutter von mittlerweile erwachsenen, "gut geratenen" Kindern. Der Antrag auf Erwerbsminderungsrente, Antrag nach dem OEG, ja und auch den Antrag auf ALG, weil ja die Entscheidung des Rentenantrags aussteht.
    Ich finde dich/euch sehr mutig wie ihr die Dinge angeht. Und es ist sehr schrecklich,dass ihr wieder häufig getriggert werdet. Ich kann dies gut nachfühlen.
    Mich freut, dass auf du diese Verletzung "anders" reagieren konntest.
    Ich/wir wünschen dir/euch weiterhin ganz viel Mut, viel Kraft, gute Nerven und vor allem jene Menschlichkeit, die an und für sich selbstverständlich sein sollte.
    Liebe Grüße,
    Dontknow