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Über Wut, nachgeholte Rebellion und das Weben von Teppichen

Wieder ist eine Pause entstanden. Coroana hat auch und im Griff. Wir sind zu Hause mehr oder weniger eingesperrt und mit Familie drum herum, bleibt wenig Raum für uns und zum im Gedankenverweilen und Schreiben. Dabei gibt es etwas, was ganz aktuell ist, und das geschrieben werden will.

 

Wir merken gerade, dass wir uns mal wieder sehr verändern. Nicht nur optisch auch im Inneren. Wobei das eine das andere bedingt. Dinge die bis vor kurzem noch sehr, sehr wichtig waren, aus welchen Gründen auch immer, relativieren sich plötzlich. Andere Dinge werde dafür wichtig, von denen wir nicht geahnt hatten, dass sie für uns und das innere Gleichgewicht wichtig sind.

 

Jeder Mensch lernt, so denke ich, wenn er oder sie sich selbst aufmerksam gegenüber ist, sicher täglich neues. Aber scheinbar nicht so radikal, wie wir lernen müssen. Ich bewundere, nein manchmal beneide ich die, die genau wissen, wer sie sind und was sie wollen. Oder scheinbar tun sie das zumindest. Vielleicht haben sie aber auch nur Angst den ausgetretenen Pfad zu verlassen?

 

Was jetzt mit uns passiert ist für die Umwelt durmherum sicher oft nicht nachvollziehbar. Es muss manchmal wie eine 180 Grad Wandlung aussehen. Oder aber so, als würden wir lustig unsere Meinung unser Denken und Handeln nach dem Wind ausrichten. Aber so ist es nicht. Es darf nun aber endlich Neues sein, dass zuvor abgespalten war. Es müssen nicht mehr alte Erwartungen, vielleicht sogar unterschwellige "Programme" befolgt werden. Aber es ist auch klar, die Veränderung muss gestaltet werden und nicht einfach ins Leben platzen…. Und es ist immens anstrengende Arbeit!

 

Wir sind immer mal wieder damit konfrontiert überhaupt nicht mehr zu wissen, wer wir eigentlich sind. Der Blick in den Spiegel wird mal wider zur Qual. Nichts scheint passend. Nichts Identifizierendes kann gefunden werden. Kein Name stimmt. Mal sind alle gleichzeitig da, wir leben für ein paar Stunden in einer Art Drehtür. Permanent ist jemand anderes "vorne". Dann das absude Gegenteil. Wir finden uns im Feld stehend wieder. Wir haben noch so viel Bewuustsein für uns selbst und zeitliche Orientierung, dass wir wissen wo wir sind und das wir mit dem Familienhund spazieren sind. Aber wir können nicht laufen. Keiner ist bereit die Initiative zu ergreifen weiter zu gehen. Im Feld? Im Leben? Wir atmen, stoßweise, suchen im Innern. Atmen gegen die Panik, der Situation ausgeliefert zu sein.

 

Es ist komisch nach so Erlebnissen wenig später normal am Abendessenstisch zu sitzen. Ja Mutter, ja Verantwortung. Gott sein dank funktionieren wir in den Rollen gut. Dazwischen Chaos. Zeitlich, räumlich, innerlich. Dafür ist Klinik gut. Da darf Chaos sein. Und Innenarbeit geht nicht ganz ohne. Manch Dinge müssen dich zeigen dürfen.

 

Innenarbeit bedeuten im Idealfall Integration. Lernen über das was sich zeigt, wenn es sich zeigt. Es bedeutet, diese Dinge mit dem aktuellen Leben im Hier und Jetzt, in Verbindung und in Einklang zu bringen. Es zumindest zu versuchen. Sich selbst neu zu finden. Das "Ich" in dem ganzen "Wir". Wir haben aktuell mal wieder keine Wahl. Im Inneren ist so viel passiert, dass wir, um das Gleichgewicht und Stabilität halten zu können, dem Veränderungswillen nachgeben müssen. Wir müssen uns mal wieder selbst finden und ein neues "Ich" erschaffen. Wobei das wenig mit kreativem Schaffen zu tun hat, sondern eher der Versuch ist, dem Inneren, das einen leitet, zu folgen. Den Mut zu finden, dem zu folgen was da leitet. Denen zu vertrauen, die da leiten.

 

Mit diesen Veränderungen verbunden ist auch Wiederstand. Innerer Wiederstand bedeutet für uns, dass wir auf einem richtigen Pfad zu sein scheinen. Dann ist die Veränderung gleichzeitig auch ein Abrücken von den Werten, die durch die Täter vermittelt wurden und im Inneren schlummern. Aktuell: Sei gehorsam! Sei gefügig! Sei unauffällig! Sei so, wie ich dich haben will! Habe keine eigene Meinung! Stel keine Fragen!

 

Rebellion, eine eigene Meinung haben, war verboten.  Irgendwann war da nur noch der überlebende Teil von uns da, der depressive, der gehorsame. Dieser hat immer zugesehen den Erwartungen der Umwelt, in Perfektin,  gerecht zu werden. Eine dieser Erwartungen zu verfehlen, war mit Angst verbunden. Existentieller Angst. Dem Gefühl nur dann gemocht und geliebt zu werde, wenn man das verkörpert, was erwartet wird. Das war immer noch unsere Realität. Jahrzehnte später.

 

Und nun? Nun haben wir einen Teil gefunden, der all die Jahre die Wut getragen hat, die zwangsläufig entsteht, wenn man nicht als das gesehen wird, was man ist, sondern nur als dass, was man zu sein hat. Sie wurde plötzlich, nun da sie nicht mehr ganz abgespalten ist, erfahrbar. Leider, da noch viel Übung fehlt, oft etwas unkontrolliert. Sie lässt sich noch nicht regulieren. Wir müssen üben, sagt die Therapeutin. Mit Glück lernt man das als Kind. Mit Glück darf man als Teenager rebellieren, darf Autonomie schaffen und wird dennoch geliebt. Für das was man dann wird. Ein autonomer, sich selbst bewusster und für sich selbst sprachfähiger Teil einer Gemeinschaft.

 

Durch die Abspaltung fehlen und da einige Entwicklungsschritte. Ja, sie sind nachholbar, aber eben ganz anders, als wenn sie natürlich als Kind oder las Teenager geschehen. Jetzt so zu rebellieren wie es ein Teenager es tut, macht zum Beispiel keinen Sinn. Und auch nicht mit allem was da ist an Wut, und das ist nicht gerade wenig, darf rebelliert werden. Das wäre einfach zu viel auf einmal.

 

Und dann muss auch noch aufgepasst werden, dass keine Übertragungen stattfinden. Der Mann an unserer Seite ist nicht der Vater von damals. Ja, wir dürfen autonom sein, schon lange. Aber Teile wissen das einfach nicht. Wir müssen darauf achten, dass die Rebellion, die Wut sich nicht gegen die falschen richtet. Weder gegen die, die uns schon lange zur Seite stehen, noch gegen uns selbst. Eine gefühlte Mamut Aufgabe. Wir müssen die Wut in die Vergangenheit richten, ohne das Hier und Jetzt zu verlieren. Wir müssen endlich lernen auf die Wütend zu sein, denen wir nie die Wut zeigen durften. Dafür ist es ganu gut, dass es die Inneren Kinder gibt, die das nun nachholen dürfen. Denn da gehört die Aufgabe hin.

 

Das magische daran: Mit der Integration der Wut, kommt Energie ins System, die nicht vorhanden war. Depression wird überspült von Aggression. Aggere- Latein - etwas tun.

 

Mit jeder Veränderung haben wir immer gesagt, oh wir sind endlich nicht mehr depressiv. Es geht uns so viel besser. Aber erst jetzt, durch diese Integration, haben wir wirklich Energie. Zum ersten Mal im Leben erleben wir, dass wir abends vor dem zu Bett gehen Tagesenergie übrighaben. Dass die Energie für einen Tag auch reichen kann. Vorher war klar, was mir morgens nicht erledigt hatten, wird danach nicht mehr freiwillig passieren. Alles danach wurde zum täglichen Kampf. Überkompensation – totale Erschöpfung. Die Frage, wie der nächste Tag überlebt werden kann. Wie schwer depressiv wir eigentlich waren, so langsam wird es Greifbar.

 

Ist dies jetzt das normale Leben? Es scheint fast zu schön zu sein und die Angst es wieder zu verlieren ist groß, denn zu wertvoll ist dieses Geschenk! Aber es liegt an uns, die Integration aufrecht zu erhalten und sie, im Dialog der sich annähernden Anteile, zu gestalten.

 

Um das Ganze für uns selbst in ein Bild zu fassen und möglichst den Prozess als etwas kontrolliertes und nicht zerstörerisches zu gestalten und zu empfinden, haben wir einen inneren Webstuhl gebaut. Er ist magisch, denn er kann verschiedenen Teppiche zu einem neuen zusammenweben. Nach und nach werden beide Gewebe gleichzeitig und Stück für Stück aufgewoben und aus den von beiden Seiten kommenden Fäden wird ein gemeinsames, verbindendes Gewebe gewoben. Ein neuer vollständiger Teppich. Und es braucht seine Zeit. Es muss behutsam gewoben werden, damit kein Faden reißt.

So kann im Inneren verstanden werden, dass beide Teppiche an sich zuvor gut, richtig, berechtigt und für sich vollständig waren, sie zusammen aber ein vollständigeres, ganzes und ganz anders wertvolleres Werk ergeben können.

Und so ist auch klar, dass es ein defizierer Prozess ist, der sorgfalt erfordert.

 

Für mich ist es ein Silberfaden, die Wut eben, die jetzt in dem neuen Werk seine Schönheit zeigen darf und die in seiner einzelnen Betrachtung zu viel auf einem Haufen gewesen wäre und im Licht betachtet die Gefahr barg, einen zu blenden. Was für ein Wandel und ein Potenzial.

 

Drückt mir die Daumen, dass die Fäden nicht reißen und es geling diesen neuen Teppich auch fertig zu stellen!

 

Ela +

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Tara (Sonntag, 05 April 2020 12:52)

    Drücke euch von Herzen beide Daumen.
    Schönes Bild mit dem Teppich.

  • #2

    Grace (Montag, 08 Juni 2020 23:13)

    Wow schöner Text. Weckt viel Hoffnung in mir