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Über Suizidialität

Für dieses Thema gibt es keine andere Überschrift als die, das Thema zu benennen, dass uns immer latent begleitet, aber tatsächlich das erste Mal wirklich zum Thema wurde. Die Bretter auf denen wie balancieren über einem Abgrund wurden sehr wackelig.

 

Für uns ist das Balancieren ganz normal, normal dass es immer wieder den Gedanken gibt, aus dem Leben verschwinden zu wollen. Das ist etwas, was uns schon als Kind begleitet hat. So früh bereits, dass es keinen Begriff dafür gab. Es war einfach der tiefe Wunsch sich ins Nichts auflösen zu dürfen. Aber wir konnten und durften nie.

 

In vielen meiner Traumaträger gibt es diese Gefühle. Aber der Vorteil der Spaltung, mich an der Oberfläche betrifft es nicht. Ähnlich wie ein Therapeut in der Krisenintervention, spreche ich beruhigend auf sie ein und mache ihnen Mut, gebe ihnen Perspektive, versichere Unterstützung. Aber es ist eben nicht "Ich".

 

Ganz anders habe ich es nun erlebt. Erleben müssen. Ich habe im letzten Beitrag davon gesprochen, dass neue Strukturen aufgetaucht sind. Unter anderem ein Anteil, der mit seinem Auftauchen das unfassbar intensive Gefühl des Versagens hochgespült hat. Ich habe es wahrgenommen so intensiv, dass es sich bis ins Hier und Jetzt, bis auf mein Leben in meiner Familie ausgewirkt hat. Wo ich vor meinem Mann gestanden habe, absolut sicher, dass ich nur eine Belastung bin und keine, aber auch gar keine Hilfestellung für meine Familie, meine Kinder und dass alle ohne mich es im Leben leichter hätten. Ich war bereit aufzugeben, denn an meiner "Oberfläche" trafen diese Gedanken schließlich auf Resonanz. Ich war irgendwann einfach nur noch erschöpft und überfordert.

 

Es war furchtbar. Vor allem, weil ich nicht wirklich orten konnte, woher dieses Empfinden plötzlich kam und so intensiv, dass es im Ich ankam. Dass sie irgendwo in der Vergangenheit liegen könnten, war eher eine Hoffnung. Aber sicher war ich mir nicht. Irritierend war, dass jede Versicherung von außen, jede Bestätigung, wenn ich Situationen mit Fachleuten auseinandergenommen habe, die immer und immer wieder sagten, sie machen das sehr gut und sehr richtig, das einfach nicht nachhaltig angekommen ist. Das war ein Indiz, dass nicht der "betroffene" Anteil, die Botschaft hören konnte. Also habe ich das Thema im geschützten Raum des klinischen Umfeldes auf die Tagesordnung gesetzt und gleichzeitig ins Innere gefragt, wer da solche Zweifel hat und so verzweifelt ist.

 

Warum das klinische Umfeld? Dort ist jederzeit ein Ansprechpartner zur Verfügung. Und das erste Mal hatten wir ihn auch bitter nötig. Es gab den Moment, wo die Ich-Struktur dermaßen überspült wurde von dem Wunsch das Leben zu verlassen, wo eine Übernahme von diesem Anteil bis ins Handeln nicht ausgeschlossen werden konnte und wir die Kontrolle über das eigene Handeln nicht mehr sicherstellen konnten. Wie eine schwarze Wand, die von hinten angekrochen kommt und sich der Sinne bemächtigen will, fühlte es sich irgendwann an. Wo das "Wegdriften" mehr war als nur Watte im Kopf, die Denken und Handeln verlangsamt. Es blieb irgendwann nur noch der verzweifelte Versuch, nicht von dieser Wand oder Welle überspült zu werden, die einem das eigene Bewusstsein und Handeln nehmen will.

Es ist unfassbar wertvoll dann Hilfestellung zu haben, die Verantwortung für einen Augenblick abgeben zu können. Nicht allein aushalten zu müssen. Im Gespräch, sich einen Augenblick von Helfern tragen zu lassen, bis sich die Situation beruhig hat. Wo auch medikamentöse Unterstützung inzwischen zugelassen werden konnte. Etwas was wir immer abgelehnt haben. Aber es braucht dann jede mögliche Unterstützung.

 

Der Film im Kopf ist so keine Realität geworden. Die schwarze Wand, die sich versucht hat über uns zu wälzen und der Kontrolle zu entmächtigen über das Handeln, ist nicht über uns hineingebrochen. Es waren "nur" drei kritische Stunden, aber sie haben die Kraft gekosten von drei anstrengenden Tagen. Es ist kaum zu beschreiben, dass die mentale Arbeit, dem Handlungswunsch anderer Anteile nicht nachzugeben so anstrengend ist, dass man hinterher über Stunden kaum bewegungs-, denk- und sprechfähig ist.

Jetzt mit Abstand, sind die Erinnerungen verschwommen. Es gab zwei Gespräche mit einer Therapeutin in diesen Stunden. Das erste ist noch im Kopf, das zweite verschwimmt im Nebel der Erschöpfung. Der Abend ist dann wieder klarer da.

 

Der Wert dieser Erfahrung? Wir haben uns so weit vorgewagt, vorwagen müssen, um in Kontakt zu treten, Botschaften auch übermitteln zu können. Plötzlich gab es auch Antwort. Sehr anders als ich erwartet hatte. Wie immer verzichte ich hier auf Details. Wichtig war, der "Hotspot", der Ursprung wurde sichtbar und ich, an der Oberfläche, damit handlungsfähig. Kommunikation im Inneren wurde möglich, Botschaften konnten schließlich gehört werden.

Das magische: Die Zweifel waren weg, sind weg. Die Nachwehen aber dennoch zu spüren. Die Wut darüber so lange keine Unterstützung gehabt zu haben. So lange in der Not allein gewesen zu sein. Der Anteil konnte in den folgenden Tagen und Wochen soweit integriert werden, dass seine Not soweit gelindert ist, dass Leben ein Ziel ist. Die enthaltene Wut, die jetzt zur Verfügung steht, hat plötzlich viel Energie für alle gebracht. Emotionale Entlastung wurde im Gegenzug erreicht. Sicherheit für den Anteil im Hier und Jetzt geschaffen.

 

Ich habe in den letzten Monaten vermehrt solche heftigen Intrusionen erlebt. Ich fürchte, dass solche Erlebnisse auf dem Therapieweg nun nach und nach kommen werden, wenn es immer mehr in die Konfrontation geht. Mit jedem Mal aber lernen wir auch, besser damit umzugehen. Notfallmaßnahmen wurde besprochen und eingerichtet.

 

Es ist eben erst der halbe Weg geschafft. Ich habe immer gesagt, ich warte auf den Moment, wo ich das Gefühl habe auf dem Rückweg zu sein. Ich bin es vielleicht noch nicht, aber ich kann den Weg vielleicht inzwischen sehen.

 

Ela+

 

 

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