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Über Trauer die nicht sein darf?

Das Thema, dass ich heute aufgreifen will, ist nicht neu. Ich habe gerade nachgeschaut. Es war im April, dass ich dazu ein erstes Mal geschrieben habe. Es geht um den Bruch mit der Herkunftsfamilie. Darum, was das alles bedeutet im Außen und auch im Inneren.

 

Jetzt ist das Thema gerade wieder aktuell, aus verschiedenen Gründen. Auch darum, weil es sich zum zweiten Mal jährt, dass ich mir die Weihnachtstage, die Besinnlichkeit, genutzt habe, um darüber nachzuspüren, was gemacht werden will und muss in Bezug auf die Familie, in die ich hineingeboren wurde und in der ich groß geworden bin. Das Umfeld, dass dazu geführt hat, dass mein ich ein wir ist und dass ich diesen Blog hier schreibe.

 

Ich habe damals geschrieben, was ich gemacht habe, um mir darüber klar zu werden, was zu tun ist und was es innerlich gebraucht hat, um sich schließlich auch emanzipieren zu können. Ich musste in mir selbst Halt finden, Ersatz für den Halt, den einen jede Familie, und sei sie noch so destruktiv, gibt. Später dazu mehr.

 

Auch habe ich darüber geschrieben, warum es sehr wichtig war, diesen Schritt zu gehen und das er viel Gutes bewirkt hat.

 

Als erste Reaktion habe ich von meinem gesamten Umfeld gehört, das war gut und richtig und ein logischer Schritt.  Wichtige und auch notwendige Bestätigung. Denn es bleibt doch immer auch Angst und Zweifel, das Richtige getan zu haben. Auch habe ich sehr viel Unterstützung erhalten, von der Familie, in die ich hineingeheiratet habe. Balsam. Auf jeden Fall! Und dafür war und bin ich sehr dankbar. Es war für mein Umfeld ein Abschluss eines Prozesses. Ein guter!

 

Tatsächlich war dies aber erst ein Anfang von einem ganz anderen Prozess, der mir im Kopf vielleicht sogar klar war, aber eben nicht in der Emotion, im Erleben.

 

Jetzt ist es Zeit darüber zu berichten, was innerlich alles passiert ist, nach diesem Schritt. Was wir im Nachgang verstehen mussten, mit was wir umgehen müssen und mit was wir uns immer noch zu diesem Thema rumschlagen. Denn nur weil die Entscheidung da ist und auch der Mut den Schritt wirklich zu gehen, ist das Thema an sich noch lange nicht abgeschlossen. Für uns zumindest nicht.

 

Zudem ist es eins der Themen, bei dem wir uns sehr oft missverstanden fühlen. Manchmal sogar tief verletzt. Einfach weil das Außen einen Abschluss hat, das Innen aber nicht. Ein klarer Grund darüber zu schreiben, denn es liegt an uns die Transparenz zu schaffen, dass Missverständnisse ausgeräumt werden können.

 

Was mich selbst irritiert hat war, dass nach und nach sehr viel Trauer zu spüren war. Sehr tiefgehende Trauer. Sehr schmerzhaft oft überwältigend, da lange immer wieder an den Rand der Wahrnehmung gedrückt. Trauer, die aber mit diesem Thema zusammenhing.

 

Ja, ich sollte froh sein diesen Schritt gegangen zu sein, stolz darauf sein, die "bösen" Mächte aus meinem Leben verbannt zu haben. Ja, war ich auch. Aber eben nur auf der einen Seite.

 

Es hat die erneute Erläuterung unserer Therapeutin genbraucht, für das was wir aus dem ersten Schritt des Prozesses schon wussten:

 

Ein Kind, wird unreif geboren und ist gezwungen, um überleben zu können, sich an Bezugspersonen zu binden, die es versorgen. Im Idealfall sind sie fürsorglich und liebevoll und in der Lage auf die Bedürfnisse dieses, wenn alleingelassen, hilflosen Wesens ausreichend gut einzugehen. Dann bildet sich Urvertrauen in Beziehungen, in die Menschen der Umgebung und in die Welt, die sie empfängt.

Dies gelingt mal mehr oder weniger gut. Selten wohl perfekt. Aber es geht hier auch erstmal mehr um den Punkt, ist es ausreichend, um weitestgehend "gesund" zu leben. Glaubt man Statistiken, sind es nur 60 % aller Kinder, die das erleben dürfen.

 

Aber selbst dann, wenn die Umgebung nicht ideal, oder sogar alles andere als Ideal ist, dann muss sich das Kind binden. Es bleibt ihm zum "Überleben" nichts anderes übrig, den sie sind in absoluter Abhängigkeit von Versorgung von außen. Physischer und Emotionaler Versorgung. Diese Bindung ist dann nicht "sicher", sondern es entstehet eine "unsicher" Bindung. Unsicher-vermeidend, unsicher-distanziert oder unsicher-desorganisiert. (Hier ein Link zu mehr Details)

 

Die massivste Störung von Bindung entsteht dann, wenn die Bezugsperson beides in sich vereint, Schutz, Sicherheit und Unterstützung auf der einen Seite und Gewalt, egal ob physisch, psychisch oder sexualisierte auf der anderen Seite. In dem Fall ist die Hand, die Fürsorge gibt und schädigt ein und dieselbe.

 

Geschieht dies sehr früh, regelmäßig oder sehr massiv und unberechenbar ist ein Ausweg die Spaltung. Die Bezugsperson wird in "gut" und "böse" gespalten und beide Teile werden, im ebenfalls getrennt voneinander, in unterschiedlichen Anteilen der Persönlichkeit internalisiert.

 

Die Folge davon ist, dass der eine Teil nur den/die Guten Aspekte der Bezugsperson kennt, der andere nur die schlechten und es findet kein Austausch und keine Verbindung dieser Aspekte statt, wie in einer „gesunden“ Entwicklung, wo beides gemeinsam internalisiert wird. Ein Teil ist dann aktiv, wenn das Gute geschieht, der andere, wenn das Negative geschieht.

 

Diese Anteile, die nur die guten Aspekte kennen, sehen zunächst keinen Grund darin, sich von diesen Bezugspersonen zu distanzieren. Es braucht das Aufbrechen der Spaltung und der Austausch zwischen diesen Anteilen, damit von allen die Bereitschaft und das Verständnis der Notwendigkeit entsteht, sich final und für immer von Bezugspersonen zu trennen. Es wird kognitive verstanden, dass die anderen Anteile “gerettet“ werden müssen und dafür auf die eigene Beziehung verzichtet werden muss.

 

Dennoch und trotz allem, wird die Trennung für diese "heilen" Anteile als unerwartet, vielleicht sogar plötzlich und ja, als kaum verständliche Notwendigkeit und somit auch als starker Verlust erlebt. Die Folge ist eine Trauerreaktion. Die real und echt ist und durchlebt werden muss, von diesen Anteilen.

 

Es mag sein, dass das im Außen als spätere Idealisierung empfunden wird, weil diese Trauerreaktion mit einem gewissen Zeitverzug einsetzt, die ganz klar auf Unverständnis treffen muss.

 

Auch die Trauerreaktion an sich trifft auf Unverständnis, denn ein Glück ist man den Schrecken doch endlich los geworden. Es ist eine Befreiung! Warum bitte Trauer?

 

Ganz hart finde ich Aussagen wie, man sollte nicht (im Nachhinein) nach Dingen suchen oder sie idealisieren, die da nicht sind, oder nie waren. Das verletzt tief. Sprechen sie doch dem Teil, der positive Aspekte der Bindung erlebt hat, sein Fühlen als berechtigt ab und degradiert sein Elternbild und seine Wahrnehmung als schlichtweg falsch.

 

Doch sie waren da, diese guten und tiefen Momente von Liebe, Geborgenheit, Halt und adäquater Unterstützung. Und eben, weil sie auch da waren, musste die Spaltung sein. Es war nicht nur schlecht. Es war vieles auch heil und gut und nah und voller Liebe und voll Zuneigung.

Eine Therapeutin hat sogar ganz klar für uns, unseren Fall formuliert, es muss dagewesen sein, sonst hätten wir als Ganzes gesehen, viele Kompetenzen die wir (Gott sein Dank) entwickelt haben, nicht entwickeln können. Kompetenzen, die uns heute als Ressourcen im Leben zur Verfügung stehen. Das verstehe ich inzwischen, auch wenn ich es zunächst abgelehnt habe, weil ich da noch sehr mit den Schrecken beschäftigt war.

 

Ich wollte, musste es ablehnen, weil zunächst keine Kraft dazu da war, auch noch zu trauern. Keine Kraft, beides da sein lassen zu können. Unfassbare Wut und unendliche Trauer über den Verlust, bezogen auf dieselben Personen. Ein ganz neuer Aspekt, der für andere Menschen ganz normal ist. Das man als eine Person einer anderen Person alle Gefühle entgegenbringt und dies auch tun darf.

 

Dass das jetzt möglich wird zeigt, dass diese Spaltung nach und nach immer weiter aufgehoben wird. Was damals getrennt werden musste, darf nach und nach verschmelzen.

 

Ich bin so froh, dass meine Therapeutin ganz klar gesagt hat. Ja, die Trauer darf sein, muss sein und sie ist real und richtig. Zu sehr habe ich an mir gezweifelt, war sicher, da läuft schon wieder was falsch in mir. Ich mache was falsch, denn das ist das was das Außen widerspiegelt: Trauer um den Verlust zu Tätern ist nicht normal und darf nicht sein!

 

Wäre diese Aussage nicht so klar gewesen, hätte ich mich nicht getraut die Trauer auch anzunehmen und zuzulassen und auch im Außen zu thematisieren, auch auf die Gefahr hin, dass es nicht verstanden werden wird. Aber alle Aspekte, die im Inneren sind, müssen auch im Äußeren sein dürfen.

 

Ich würde mir wünschen, dass dieser Artikel ein Beitrag dazu sein kann, dass die Außenwelt beginnen kann zu verstehen, dass eben beides da sein kann, auch in einer Person. Sehr Positives und sehr Schreckliches. Von manchen Menschen wird es sogar gezielt benutzt, um Verwirrung zu stiften und Spaltung zu fördern. Dass diese Kombination für den Betroffene, eine furchtbare Kombination ist, die am Ende vielleicht eine Spaltung als einziger Ausweg aus einem permanenten Dilemma bedeutet und auf dem Rückweg der Spaltung zu kontroversen führt.

 

Und ich würde mir sehr wünschen, dass es meiner Umgebung gelingt zuzuhören, allen Aspekten und Anteilen und nicht, aus ihrem Begreifen, vorschnell zu werten. Dies verhindert, dass Kontakt da sein kann und muss zu Rückzug führen, der zudem dann nicht verstanden wird. Ein neues Dilemma. Und am Ende bleibt man mit der Trauer allen.

 

Ela+

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Tara (Dienstag, 17 Dezember 2019 12:46)

    Du bist nicht alleine mit der Trauer und nicht mit dem Mut den Weg zu gehen. Ich hab dich - euch lieb Ella+ Bleibe dieses Jahr in Berlin � Tara

  • #2

    Ela+ (Dienstag, 17 Dezember 2019 22:11)

    Danke! Zurück und wir sind stolz auf euch!