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Über viele Wirklichkeiten eines Lebens

Ich habe lange nicht mehr geschrieben im Blog. Das lag einfach daran, dass wir sehr viel im Inneren unterwegs waren, im Dialog mit dem was alles da ist. Wir haben mal wieder gar nicht genau gemerkt, dass wir in einem "Prozess" drin waren, außer daran, dass Sprache gefehlt hat, um zu formulieren, was passiert. Es entsteht dann ein Gefühl von Aushalten und Durchhalten, ohne zu wissen was und warum genau. Phasen von hoher Anspannung und unterschiedlichsten "Symptome".

 

Jetzt scheinen wir wieder ein Stück aufzutauchen und Luft zu holen, zu verarbeiten. Es wird bis auf die "oberste" Ebene in das Bewusstsein geteilt, was gelernt wurde. Wir haben sehr viel neues über uns gelernt, auch über unserer Vergangenheit. Immer weiter puzzeln wir unser Leben zusammen und jedes Mal, wenn wir denken, wir kennen das Bild, wird eine neue tiefere Schicht freigelegt. Neue Puzzlesteine kommen dazu, die eingefügt werden wollen.

 

Es ist ein bisschen wie mit dem Ende des Regenbogens. Wenn man glaubt da zu sein, ist es doch nicht zu erreichen.

 

In so Prozessen fehlen immer Worte, denn es ist oft einfach nicht in Worte zu fassen, was passiert. Was gesehen, gefühlt zum Teil wiedererlebt wird. Oft fühlen wir uns Hilflos, allein und ausgeliefert. Aber selbst das kann oft gar nicht benannt werden. Wenn es sehr intensiv wird, dann haben wir das Gefühl, wie bleiben in einem dunklen, klebrigen Zeug gefangen, was uns nicht loslassen will. Dann verschwindet manchmal das Gefühl für die Realität. Also die Welt, die wir mit allen anderen im Außen teilen.

 

Je tiefer wir hinbrauchen, umso mehr Ebenen wir freilegen, umso intensiver scheint das Abtauchen in eine andere Welt zu sein. Ich wusste, dass es eine Ebene gibt, in denen es irgendwann nicht nur Bilder und Geschichten von anderen sind, die man, gefühlt relativ unbeteiligt, widergibt, in der Therapie bespricht. Sondern, dass es eine Ebene gibt, in dem Erinnerungen bis in den Körper durchschlagen und im wahrsten Sinne des Wortes "nachfühlbar" werden. Ich habe immer Angst vor dieser Ebene gehabt und ein Teil von uns wollte sie auf keinen Fall betreten. Vielleicht der Grund, warum ich gar nicht bewusst mitbekommen habe, dass wir in genau diesen Prozess eingestiegen sind. Letztendlich ist mal wieder klar geworden, Kontrolle ist nur eine Illusion. Das Unbewusste arbeitet so oder so und die Aufgabe an diesem Ende ist, im Leben zu bleiben. Ich habe quasi als letztes mitbekommen was passiert ist. Nicht neu und wahrscheinlich auch gut so.

 

Es ist eigentlich ganz logisch, dass das dann Phasen sind, in denen die PTBS Symptome stark werden. Intrusionen, so das Fachwort. Ja, es schieben sich Wahrnehmungen von woanders in das Hier und Jetzt. In die "Realität". Oft sind es einfach viele Emotionen, die aus dem Nichts kommen und Worte beiseite fegen. Bilder, die uns nachts verfolgen und die wir nicht begreifen und zuordnen können. Es kostet einfach viel Mut nicht wegzulaufen, wenn neue Bilder, neue Stimmen und neue Wahrnehmungen auf uns einstürzen. Ja, einstürzen. So fühlt es sich an. Es fühlt sich immer wie ein Stück Kontrollverlust an. Es fällt dann oft schwer mit beiden Beinen auf festem Grund zu stehen, in dieser Realität zu bleiben. Und dennoch haben wir gelernt: Ein Teil von uns muss sich immer wieder in diesen unbewussten Raum fallen lassen, wenn wir weiterkommen wollen und lernen. Und mit dem Lernen kommt nicht nur Verstehen, sondern auch ein Stückchen Heilwachsen.

 

Ja, ihr habt richtig gelesen, es gibt neue Anteile. Unser Wir ist scheinbar immer noch nicht vollständig. Fast ein Jahr hatten wir ein stabiles Wir und jetzt will es sich wieder verändern. Oder eher erweitern? Interessanter Weise ist aber keine "fremd" Gefühl da, sondern es ist eher so, als würde ein dunkler Schleier beiseitegeschoben und es ist endlich erlaubt, dass zu sehen, was so oder so immer da war. Vielleicht hat es diese Phase der Ruhe gebraucht, um jetzt wieder aufnahmebereit zu sein. Und plötzlich, wo begriffen wird, was passiert, ist da auch wieder die Neugier. Der Wunsch sich selbst zu finden.

 

Was für uns bisher noch ein Buch mit sieben Siegeln war, war die Frage des aktiven Switchens. Also des bewussten Wechsels zwischen verschiedenen Persönlichkeitsanteilen. Aber mit einem Mal haben wir ein ganz neues Bild in uns, was uns näher an den Gedanken bring, wie Switchen möglicherweise funktioniert.

Waren es bisher für uns viele verschiedene Persönlichkeiten, die da waren, zum Teil recht fremd, sind es nun vielmehr verschiedene Wirklichkeiten. Ja, die Persönlichkeitsanteile sind unterschiedlich alt, haben eigenen Namen und Vorleiben und Eigenschaften. Aber sie haben genau das Bild von sich selbst und die Eigenschaften, die sie in ihrer Wirklichkeit brauchen, um darin zurecht zu kommen.

 

Dieses Bild scheint mir die treffendste Beschreibung für das zu sein, was mit uns geschehen ist. Spaltung bedeutet vielleicht, dass eine Wirklichkeit verlassen wird, die nicht mehr auszuhalten ist. Man lässt einen Teil von sich in einer Wirklichkeitsblase zurück und tritt in eine andere über. Oder verbleibt in einer, in der eine Wirklichkeiten in eine Blase ausgeklammert wird und scheinbar nicht erlebt wurde. So kann das Leben weiter gehen. Leider auf Kosten des Teils, der in dieser, seiner Wirklichkeit immer und immer wieder gefangen bleibt. Wenn es nötig wird, wenn sich Ereignisse wiederholen, dann betritt man diese passende Wirklichkeitsblase wieder und der Persönlichkeitsanteil und seine Wirklichkeit übernimmt und wird für den Moment zur Realität. Es erfolgt ein Switch.

Intrusionen bedeuten demnach, dass man selbst, als andere Anteil ein Stückweit in dieser anderen Wirklichkeit ist? Ein vollständiger Flashback ist ein Wechsel eines Teils, in die Wirklichkeit eines anderen?

 

Mit einem Mal wird es nachvollziehbar und nicht nur verständlich, dass es Energie kostet, diese parallelen Wirklichkeiten getrennt zu halten. Es macht auf einmal Sinn, dass die Persönlichkeit, die weiterlebt, ohne diesen Teil von sich selbst, auch Ressourcen und Fähigkeiten zurücklässt, die für diese Realität erlernt wurden. Es wird nachvollziehbar, dass es sehr sonderbar spezialisierte Persönlichkeitsanteile gibt. Nicht sie selbst, sondern ihre Wirklichkeiten sind speziell und sie passen sich diesen an.

 

Es wird nachvollziehbar, dass das was getrennt wurde wieder zusammenkomme will. Dass die Wirklichkeitsblasen aufgelöst werden müssen. Es ist wie in einer mathematischen Formel: Die Klammern müssen aufgelöst werden.

 

Es macht also absolut Sinn, diesen Anteilen, die in ihren Wirklichkeitsblasen gefangen sind, die heutige Wirklichkeit zugänglich zu machen und ihre Fähigkeiten dem Ganzen hinzuzufügen. Auf oberster Ebene, der Funktionsebene der ANPs haben wir das schon längst getan.

Jetzt kommt wieder mehr die Trauma-Ebene dran, so scheint es…..

 

Es wird ein erstes Mal vorstellbar, den Trauma-Anteilen, mit denen schon länger Kontakt besteht, nicht nur von dieser Wirklichkeit, die heute erlebt wird zu erzählen, sondern es entsteht die Bereitschaft, sie diese Realität, die gut und heile und sicher ist, selbst erleben zu lassen. Ihnen nicht nur zu sagen, heute ist Sicherheit da und das Leben gut, sondern sie diese Tatsache selbst entdecken zu lassen und sie damit mehr und mehr Teil dieser einen Wirklichkeit werden zu lassen.

 

Aus dem Versuch der Kontrolle wird der Wunsch zu teilen. Warum den Spieß nicht umdrehen. Jetzt ziehen uns die Trauma-Anteile immer in ihre schreckliche Realität, als eine Art Hilferuf und als Erinnerung an ihrer Existenz. Warum befreien wir sie nicht aus ihren Realitäten?

Aber genau das machen wir inzwischen, oder? Haben es schon ein paar Mal getan. Jetzt verstehen wir, warum es Sinn macht, sie imaginativ in eine heile "Zwischenwelt" zu holen. Wir verstehen warum die PTBS Symptome sofort nachlassen, wenn sie aus dieser ihrer schrecklichen Wirklichkeit in eine erdachte Sicherheit geholt werden. Letztendlich sind es alles nur Gedanken Konstrukte. Auch die Wirklichkeitsblasen, die aus der Unwissenheit einer "heilen" Wirklichkeit aufrechterhalten werden.

 

Dies ist der erste Schritt, um dann in den imaginären Dialog zu treten. Es wird klar, warum es Sinn macht zu fragen, was braucht jeder einzelne Anteil, damit er sich jeweils der heutigen Wirklichkeit nach und nach angleichen kann. Und des mach absolut Sinn, dass es wichtig ist, dass diese Anteile sich auch in dieser Wirklichkeit umschauen sollten, wenn sie so weit sind und eine Beziehung und ein Dialog da ist, damit es auch ihre werden kann.

 

Wie viele kleine Seifenblasen zu einer großen, schillernden werden können, können auch die Wirklichkeitsblasen zu einer wahren Wirklichkeit verschmelzen? Ich denke, dass ist das Ziel.

 

Und eine erstes Mal wird auch klar, warum das ein sehr weiter Weg ist, der Zeit braucht.

 

Ela +

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Kommentare: 3
  • #1

    Anette (Montag, 21 Oktober 2019 20:49)

    Ich verneige mich vor eurem Mut und vor eurer Offenheit!

  • #2

    VieleLeben (Dienstag, 22 Oktober 2019 19:25)

    Danke liebe Anette!

  • #3

    Silver (Dienstag, 19 November 2019)

    Danke, für dieses Insight. Bei euch ist es die schillernde Seifenblase, was mir übrigens sehr gut gefällt, wir bauen unsere Kathedrale. Das Ziel bleibt aber, glaube ich, gleich. Macht bitte weiter mit eurem Blog!