· 

Über Urlaub, Fauxpas und selbst auferlegte Fesseln

Ich habe mich in meinem Leben mit neuem Rhythmus wirklich gut eingelebt und es ist alles viel entspannter und leichter und ich ausgeglichener. Auch wenn meine bessere Hälfte meinte, ich könnte mal wieder mehr Emotionen auspacken. Ich finde es gerade angenehm so. Ausnahmsweise mal Gleichmaß und keine Extreme. Auch daher, dass ich mich frei organisieren kann und nicht zu oft auf den Punkt oder für lange Zeit am Stück funktionieren muss.

 

Man könnte annehmen, dass alles so entspannt ist, liegt auch daran, dass ich im Urlaub war und es endlich mal geschafft habe die Entspannung mit in den Alltag zu nehmen. So funktioniert das für die meisten Menschen zumindest, denke ich.

 

Für mich ist Urlaub aber immer Stress. Nicht wegen der Organisation, dem Packen oder ähnlichem, nein einfach deswegen, weil ich nicht in meinen gewohnten viel Wänden sein kann und damit, zumindest in gefühlter Kontrolle. Mein Haus kann leider nicht mitfliegen….

 

Wenn ich für ein paar Tage meine gewohnte Umgehung verlassen muss, dann steigt meine Anspannung fast bis an den Anschlag. Besonders dann, wenn ich nicht genau weiß wohin es geht und was mich erwartet oder noch schlimmer, wenn ich nicht weiß auf wen ich treffen werde. Dies gilt besonders für Gruppenreisen, oder Gruppenevents.

 

Auch ganz schlimm ist, wenn ich zwar weiß wo es hin geht und mit wem ich die Zeit verbringen werde, zum Beispiel mit Kollegen, ich aber über mehr als 24 Stunden mit ihnen unterbrochen in einem Haus eingesperrt bin, noch dazu ohne ein eigenes Zimmer und damit Rückzugsraum. Jahresklausur zum Beispiel. Fünfundzwanzig sehr liebe Menschen, aber auch Alpha-Tiere, Managerinnen und Manager auf einem Platz "eingesperrt" und in Gruppenzimmern untergebracht.

 

Das Letzte mögen sicher einige Menschen nicht, aber für mich bedeutet so viel Stress, dass ich dieselbe Zeit für mich/uns brauche, noch dazu möglichst allein und mit mir/uns selbst, um "runter" zu kommen. Woran liegt das?

 

Die ersten beiden Situationen haben ganz viel mit Routine und Kontrolle zu tun. In meinem Haus habe ich ganz bestimmte Abläufe, Ablageorte für Sachen und ich fühle mich dadurch sicher, dass ich weiß, dass ich funktionieren werde. Die Abläufe und Ablageorte sind für die Reorientierung sehr wichtig. Wenn ich zwischendurch switche, was wohl immer mal wieder für ein paar Minuten der Fall ist, kann ich mich sofort reorientieren. Keinem fällt auf, wenn „ich“ mal nicht da bin. Das alles so gut organisiert ist, hat den Nachteil, dass ich das Switchen oft selbst  gar nicht mitbekomme.

 

Dass es einen Switch gegeben haben muss, fällt mir vor allem daran auf, dass ich Gesprächsinhalte entweder gar nicht oder nur zum Teil mitbekommen habe. Das ist im Zusammenleben ein echtes Problem. Sehr oft laufen Abstimmungen mit meinem Mann schief, einfach weil manche Informationen nicht bei mir, sondern bei wem auch immer landen. Jetzt, wo sich das alles wieder ein Stück verselbständigt, weil ich nicht mehr so perfekt funktionieren muss, habe ich schon überlegt, alle Anteile aufzufordern, wichtige Dinge zu notieren, aber irgendwie gelingt das noch nicht.

Oder ich merke es daran, dass ich an einer Stelle im Haus stehe, in die ich ursprünglich nicht gehen wollte, ohne eine Idee, was die Motivation dahinter war. Mein Handy suche ich aktuell permanent. Es scheint ein Spiel zu sein, dass jemand nach vorne kommt es an einen unmöglichen Platz legt und dann wieder verschwindet. Es gibt auch jemand, der gerade dasselbe mit den Medikamenten versucht. Wie auch immer. In der gewohnten Umgebung funktionieren wir trotzdem gut.

 

Wenn wir in neue und unbekannte Umgebung kommen bedeutet das, dass neue Routinen und Abläufe, Ablageorte oder ähnliches neu definiert werden müssen. Das funktioniert erst nach ein paar Tagen gut. Vorher ist es viel innere Kommunikation oder ein unterdrücken der Anderen, was eben die innere Anspannung erhöht. Noch dazu kommt, dass, wenn man zum Beispiel einen Tauchkurs macht, man nicht weiß, mit welchen Menschen man es zu tun bekommen wird. Jede Begegnung bedeutet herauszufinden, wie weit man sich entspannen kann. Wie werden die Menschen etwaigen komische Momente, Lücken, scheinbare Unkonzentriertheit aufnehmen?

 

Dass ist es was langen Arbeitsmeetings sehr anstrengend macht. Da verbiete ich mir zu switchen, weil ich da auf keinen Fall "auffallen" darf. So zumindest mein Anspruch. Wenn über so lange Zeit nur ein Anteil in der Regie ist, dann erzeugt das eine sehr hohe innere Anspannung. Es gibt dann nichts, aber auch gar nichts, was unkontrolliert geschehen darf und es nervt alle anderen Anteile, dass sie nicht teilhaben dürfen. Zumindest die meisten dürfen nicht.

 

Dieses Jahr im Urlaub, war ich mir dem allem viel bewusster als jemals zuvor und mit dem Bewusstsein und der Akzeptanz, dass es eben so ist, ging es viel besser und ich konnte tatsächlich, so ab Tag fünf, anfangen zu genießen. Das war neu und vielleicht habe ich das erste Mal wirklich Urlaub gemacht.

 

Nach und nach, wenn ich mich so beobachte, erkenne ich, in was für einem Wust an Fesseln ich leben und gleichzeitig bin ich es, die die Fesseln definiert und mit immenser Energie aufrechterhält. Was aber auch gut ist, so bin ich nie im Chaos versunken.

 

Ich habe mich der "Fessel" Job, (auch wenn das völlig das falsche Wort ist, denn ich liebe meinen Job)  für den Moment entledigt. Das schafft Raum und Kraft, kostet mich aber Funktionsniveau. Aber das schlimmste was ich im Moment vermassele ist, dass ich nicht höre, dass kein Bargeld mehr in meinem Portemonnaie ist oder dass ich irgendjemanden hätte anrufen sollte. Alles keine schlimmen Momente. Damit kann ich gut leben. Und so taste mich weiter vor, die Fesseln nach und nach zu lösen. Kontrolliert natürlich.....

 

Ela+

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0