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Über Emotionen und meine Angst vor ihnen

In den letzten Tagen ist mir etwas bewusst geworden, was mir vorher nicht so klar war. Mir war klar, dass ich mit Gefühlen nicht gut umgehen kann, dass ich sie nach wie vor oft nicht erleben mag und mich immer noch manchmal frage, ob ich meine nicht einfach wieder abgeben kann, jetzt wo sie sich mir anfangen zu erschließen. Aber dem ist natürlich nicht so und das ist auch gut.

 

Was für mich allerdings neu war ist, dass ich diese Antipathie oder vielleicht sogar Phobie automatisch auch auf andere übertrage. Wenn ich sehe, dass ich, z.B. durch meine Worte oder etwas, was ich erzählt habe, Gefühle im Gegenüber auslöse, die ich persönlich als "doofe" oder "schlechte" bewerte, dann fühle ich mich schuldig, diese im Gegenüber geweckt zu haben.

 

Und da beißt sich die Katze schon in den Schwanz. Denn was ist Scham? Genau, ein Gefühl.

 

Aber Warum? Was ist für mich so schlimm daran?

 

Ich habe mal den Begriff Gefühl ein bisschen auseinandergenommen. Ich habe gelernt, man muss zwischen Emotion, was eher einer Stimmungslage entspricht, und Affekt, was ein schnell entstehender aber auch schnell wieder abflachender, körperlich stark wahrzunehmender psycho-physiologischer Zustand ist, der bis in unser Handeln reicht und dieses beeinflusst, trennen.

 

Es ist genau dieser Affekt, der mit körperlicher Wahrnehmung einhergeht, den ich nicht gut aushalten kann, in zweierlei Hinsicht. Einerseits meide ich möglichst körperliche Wahrnehmung und damit auch die Affekt-Wahrnehmung, zweitens fühlt sich für mich das „Auftauchen“ eines Affektes immer wie ein Kontrollverlust an. Und das bewerte ich, aus meiner Vergangenheit heraus, als das unaushaltbarste schlechthin.

 

Affekttoleranz und Affektkontrolle ist etwas, was wir als Kinder lernen (sollten). Leider bin ich bis zu der Lektion als Kind scheinbar nie gekommen. Zu dem Zeitpunkt, wo ich das hätte lernen können, hatte ich schon einen Mechanismus entwickelt, der mich von meinen Affekten trennt. Die Spaltung über den Prozess der Dissoziation.

 

Mit therapeutischer Unterstützung habe ich nach und nach gelernt den körperlich spürbaren Affekt auszuhalten. (Und das waren am Anfang nur Sekunden, bevor ich wieder in ein emotionsloses Ich geswitcht bin.) Ebenso habe ich gelernt, wie es sich anfühlt, wenn der alte Mechanismus der (erneuten) Spaltung greifen will. Anfangs war es eine Therapeutin, die mich reorientiert hat und am Dissoziieren gehindert hat. Falls ich heute merke, dass ich (automatisiert) auf das alte Muster der Dissoziation zurückgreife, unterbinde ich dies inzwischen selbst durch einen erlernten Dissoziationsstop.

 

Damit habe ich nun (endlich) die Möglichkeit mich meinen Affekten zu stellen. Zunächst einmal im hier und jetzt. Gleichzeitig habe ich aber auch die Aufgabe meine strukturell "abgekapselten" Affekte wieder zu integrieren.

Strukturell existiere ich durch die Spaltung in Anteilen, die „kognitiv“ sind und welche die „affektiv“ sind. (So wirklich verstehe ich die Begriffe ANP-Anscheinend normaler Persönlichkeitsanteil und EP- Emotionaler Persönlichkeitsanteil erst jetzt.) Dabei trägt jeder der „affektiven“ Anteil zum Teil genau einen einzelnen Affekt (Wut, Angst, Trauer, Scham) und/oder eine abgeleitete Handlungsfolge (Erstarren, Flucht, Kampf)… Sie sind quasi jeweils für diese Affekte/Handlungsfolge zuständig.

 

Dass ich entweder nur im Affekt oder affektlos daherkomme, muss meiner Umwelt im Kindesalter sehr komisch vorgekommen sein. Andererseits sind vielen nur dem Einen oder dem Anderen begegnet. Da wo man sich benehmen musste und nicht auffallen durfte, war der affektlose Anteil am besten aufgehoben. Meine Lehrerin in der Grundschule hat mal zu meiner Mutter gesagt: "Dieses (das affektiv hemmungslose) Kind, dass Sie beschreiben, das kenne ich nicht!"

Man wird von der Umwelt zudem als nicht sehr sympathisch wahrgenommen. Weder wenn man emotionslos noch hysterisch ist. Um aber in Beziehung gehen zu können, habe ich mir einen ziemlich komplizierten Workaround geschaffen. Die eigenen Affekte immer konsequenter meidend, habe ich angefangen Affekte nur empathisch im Gegenüber wahr zu nehmen und dann zu spiegeln, ohne sie selbst zu empfinden. Bzw. ich habe versucht Emotionen, ohne den Affekt zu spüren, zu simulieren.

 

Ein Beispiel: Jemand erzählt, dass er einen Streit mit jemandem hatte und ich kann in seinem Affekt erkennen, in seiner körperlichen Reaktion und vor allem in den Augen, dass ihn oder sie das wütend gemacht hat. Also greife ich die dazugehörige Emotion auf und benutze sie, ohne die Emotion in meinem eigenen Körper wahrgenommen zu haben. Gleichzeitig merke ich mir, in solchen Situationen ist man wütend und das sieht in etwa so aus. Demnach verhalte ich mich so, wenn ich das nächste Mal in einer solchen Situation bin, aber ohne den Affekt dazu wahrzunehmen. Es ist eine reine kognitive Leistung, die ich mir da angefangen habe aufzubauen, hat aber (eine ganze Weile) gut funktioniert. Eine anscheinen normale Persönlichkeit...

 

Ich scheine darin nicht schlecht zu sein. Ich kann mich daran erinnern, dass meine Mutter mich schon als gute Schauspielerin bezeichnet hat. Was auch immer ihr bewußt war dabei, warum ich das tue.... Und meine Anscheinend normalen Persönlichkeiten für die Arbeit, für das Familien und das Sozialleben, funktionieren sehr erfolgreich, aber eben "flach" und eben ohne persönliche Tiefe. Menschen die mich sehr gut kenne, wird das aufgefallen sein, denke ich.

 

Das alles allerdings, hat mich vorallem daran gehindert, mich selbst emotional weiterzuentwickeln. Bzw. es hat sich irgendwann als Störung manifestiert. Das Vermeide und Fehlen von Affektwahrnehmung führt wahrscheinlich automatisch in die Depression, wo ich ja auch massiv gelandet bin. Man fühlt sich einfach leer und im schlimmsten Fall körperlos. Und ohne Affekt gibt es auch kein Antrieb.... Ja, das kenne ich. Das erste Mal macht es für mich Sinn, dass die Depression unter die Kategorie "Affektive Störungen" fällt.

Gleichzeitig erklärt es meine andere offensichtliche Neurose, die Zwanghaftigkeit. Sie ist ein Ausdruck meines Versuches die ausgelösten Affekte irgendwo "hinzupacken". Der Affekte, die ausgelöst aber nicht wahrgenommen werden und dann keine Bestimmung findet, als ausgeführte Handlungsaktion, müssen irgendwo hin. Himmel, was bin ich verkorkst.

 

Aber es geht bergauf. Ich habe schließlich in den letzten zwei Jahren bewusst angefangen diese Trennung und dass Meiden wieder aufzuheben und an meinen Affekttoleranz und Affektkontrolle zu arbeiten. Letztendlich brauchte es dafür ein Gegenüber, bei dem und mit dem ich (endlich) üben konnte.

 

Was für mich passiert, wenn ich meine Affekte mal zulassen, ist zu vergleichen mit einem Lichtstrahl, der zwischen zwei Spiegeln immer wieder reflektiert wird.

Ein Beispiel: Ich erzähle von einer Situation, in der ich mich hilflos oder ausgeliefert erlebt habe und in meiner Erzählung schwingt dieser Affekt der Hilflosigkeit, den ich selbst als Co-Bewusster ANP nicht wahrnehmen kann, mit. Das wird vom Gegenüber empathisch nachempfunden und der Affektausdruck im Gegenüber ändert sich. Das wiederum kann ich sehr gut und sehr intensive wahrnehmen. Jeder Affekt, den ein Gegenüber aussendet, und sei es noch so minimal, nehmen meine empathischen Antennen sofort auf. Heißt, die Hilflosigkeit wird zu mir zurückgespiegelt und verstärkt "meine" eigene und ich kann sie dann versuchen zu erfahren. Was wiederum meinen Affekt verstärkt und im Zweifelsfall dann auch den im Gegenüber und so weiter….

Wird dieses Spiegeln zu intensiv, merke ich sofort, dass ich keinen Blickkontakt mehr halten kann. Ich will die Affekte und Emotionen im Gegenüber nicht mehr wahrnehmen und breche den "Kontakt" ab und im Zweifel gleichzeitig auch den zu mir selbst.

 

Es war am Ende eine Therapeutin, die mich immer und immer wieder aufgefordert hat, diese psycho-physiologischen Vorgänge Co-Bewusst in mir selbst und sei es auch nur für einen Moment, wahrzunehmen. Irgendwann konnte ich meine Phobie einen Moment fallen lassen und ich konnte anfangen zu lernen, für den Moment, die Affekte wahrzunehmen und auszuhalten. Wenigstens solange, bis ich irgendwann schließlich doch wieder in den rein emotionslosen Anteil geswitcht bin. Irgendwann habe ich solange „ausgehalten“, bis ich schließlich erleben durfte, dass der Affekt von alleine wieder abflacht. Ein Meilenstein, der eine Positivkreislauf in Gang gesetzt hat.

 

Ein Nebeneffekt: Mir wurde zusätzlich möglich selbst zu identifizieren, wann ein emotionaler Anteil "dabei" ist. Einem aufmerksamen Gegenüber wird zukünftig auffallen, dass ich dann schwer Blickkontakt halten kann. Gleichzeitig weiß er, dass ich ihm vertraue, dass ein Affekt-Anteil mit dabei sein darf in der Begegnung.

 

Am Ende des angestoßenen Prozesses, im geschützten Raum der Klinik, Co-Bewusst mitzuerleben, in fast "Affekt-Reinform", als 80% emotionaler Anteil "da" zu sein, waren sehr merkwürdig, neue Erfahrungen. Zu beobachten und gleichzeitig das Handeln abzugeben und dadurch mit zu erleben, dass ich im Wut-Affekt Zustand alles kurz und klein schlagen könnte und erstaunliche Kräfte mobilisieren kann. Von dem Gefühl der Einsamkeit überwältigt zu werde und "ich" mich nicht mehr bewegen kann, nicht mehr sprechen kann. Dass es einen Anteil gibt, der keinerlei Blickkontakt mehr aufnehmen kann, sondern sich mit allem Handeln, in jeder Form der Kontaktaufnahme zurückziehe und aufhört zu kommunizieren. Ich durfte mich, als ein "Uns", auf einer ganz anderen Ebene kennenlernen und ich durfte lernen, dass es überlebbar ist, wenn auch in der Intensität nicht sehr angenehm. Aber mit jedem Mal wird es weniger, als würde sich all das nach und nach abschleifen. Irgendwie, irgendwann werde ich das alles integriert haben.

 

Ich habe unfassbar viel gelernt in den letzten Tagen über mich, meine Anteile und die menschliche Psyche. Über Mechanismen der Affektabwehr und auch über Ersatzhandlungen zur Affektregulation. Ich habe zurückblickend noch einmal ganz anders begriffen, was ich, nein was wir alles getan haben. Ich habe jetzt begriffen, warum es so wichtig ist, als ANP diese Affekttoleranz zu entwickelt, bevor man sich daran machen kann affektiv geladenes Trauma-Material zu integrieren. Integration ist sonst schlicht nicht möglich.

 

Und einmal mehr bin ich unendlich dankbar für alle Therapeutinnen, die mir bisher auf diesem mühsamen Weg zur Seite gestanden haben und mit mir, und manchmal auch stellvertretend für mich, ausgehalten haben, bis ich es schließlich selbst konnte. Auch ihre Arbeit und den Sinn therapeutischer Beziehungen rückt in ein ganz neues Licht für mich.

 

Ela+

 

 

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