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Über Körperwahrnehmung und das Meiden von Spiegeln

Mir war bis vor ein paar Monaten gar nicht klar, dass ich meinen Körper nicht wirklich wahrnehme. Ich hatte bereits geschrieben, dass Körper und Emotionen direkt im Zusammenhang zu stehen scheinen. Je mehr ich meine Körper bewohne und wahrnehme umso eher kann ich auch Emotionen wahrnehmen und auch ausdrücken. Allein da sagen viel, ja klar. Meinem Vulkanischen ich, dass sehr lange allein unterwegs war, war das überhaupt nicht klar.

 

Insofern habe ich mich, wir uns, auf den Weg gemacht den Körper in Besitz zu nehmen und finde diese Erfahrung auch wertvoll. Allerdings gibt es auch manche Fallstricke, mit denen wir noch lernen müssen, zurechtzukommen.

 

Was mir nach und nach aufgefallen ist, ist der Fakt, dass ich mehr als nur einen Körper bewohne. Was natürlich quatsch ist. Was ich sagen will ist, dass jeder Anteil ein eigenes "Körperbild" hat und dass sich das in der Wahrnehmung auch wiederspiegelt, je nach dem welcher Anteil in der Hauptwahrnehmung im Außen unterwegs ist.

 

Als uns das Klargeworden ist, war das Anfangs ein sehr großes Problem. Immer wieder gab es Tage, und ja, gibt es auch heute noch, wo das Spiegelbild einfach nicht erkannt wurde. Es war jedes Mal regelrecht ein Shock und ein Moment der Verwirrung und Orientierungslosigkeit. Heute sorgen wird dafür, dass uns ganz bewusst ist, wer gerade "da" ist und meiden entweder dann Spiegel, oder uns ist bewusst, was passiert, wenn wir in den Spiegel schauen.

Dennoch bleibt es ein enormes Konfliktfeld. Das Erleben, als andere endlich auch mal "raus" durften, hat zum Beispiel zu einem sehr intensiven Konflikt geführt, was die Frisur betrifft. Kurz oder lang. Blond oder schwarz. Eine Kombination aus Untercut und langem "Deckhaar", hat irgendwann zumindest einigermaßen zum Ausgleich geführt. Die Optik kann jetzt schnell geändert werden.

 

Dieses Konfliktfeld führt aber auch zu ganz komischen Momenten, in denen plötzlich Tattoos vermisst werden, die nachweißlich nicht da sind oder je da waren. Was die Piercings betrifft, haben wir teilweise für einen Ausgleich gesorgt…Das war o.k. Sowohl als auch, statt entweder oder…..Soweit es eben geht, ist hier das Lösungsmotto.

Das betrifft natürlich auch den Kleiderschrank. Je nachdem, wer einkaufen geht, füllt er sich mit ganz anderen Dingen. Wir einigen uns übrigens jeden Abend darauf, was angezogen wird und das wird auch nicht diskutiert! Im Laufe das Tages darf sich, je nachdem wie nötig und ob überhaupt möglich, umgezogen werden. Wenn wir für die Arbeit unterwegs sind, dann hat ein Anteil keinen Platz! Das ist aber auch o.k. für alle.

 

Das ganze Thema betrifft aber auch die Wahrnehmung von Körpergröße und den "Umfang". Wenn ein Kind-Anteil unterwegs ist im Körper, dann hat er später sehr viele blaue Flecken. Der Körper ist dann einfach zu groß. Ich habe einmal beim Einkaufen einen Ständer mit Postkarten einfach umgelaufen, weil ich dachte. Klar, dazwischen passe ich durch. Nö….war nicht.

Ich habe auch die Rückmeldung bekommen, dass sich Mimik, Gestik und das ganze Gangbild verändert, wen andere da sind. Es passiert oft, dass ich von anderen Menschen einfach nicht erkannt werde…. Oft werde ich angesprochen, dass ich ganz anders aussehe, oder auch jünger aussehe.

 

Noch böser wird es in den Konsequenzen, dass ein Anteil eher weiblich, rundlich ist und das auch o.k. findet, ein anderer Anteil massive Probleme damit hat und immer und immer wieder "eingreift" und es zu Hungerphasen kommt, weil dieser Teil so überhaupt Nicht einverstanden ist mit dem aktuellen Äußeren. Wohingegen der Andere, ein paar Stunden später, ein leckeres Essen genießt.

Das ganze Thema Essen ist ein massiver Konflikt! Es vergeht keinen Tag, wo etwas für irgendjemanden nicht o.k. ist. Wir haben inzwischen wenigstens unterbunden, dass Mahlzeiten einfach wiederholt werden. Weil jeder das isst, was er will. Wir sind ohne Diät deutlich leichter seitdem.

 

Leider gibt es auch einen Anteil, der den Körper massiv ablehnt und zerstört sehen will… Das zu regulieren bedeutet einen sehr großen Energieaufwand, ohne hier ins Detail zu gehen.

 

Das ganze Phänomen geht auch bis in die Sinnes-Wahrnehmung, die ja auch wiederum eine Rückmeldung auf die Eigenwahrnehmung hat. Auch wenn meine Augen physisch immer auf derselben Höhe sind, nehme ich, wenn ein Kind Anteil im Körper unterwegs ist, alles eher "von Unten" wahr. Heißt, Menschen erscheinen viel größer, als sie eigentlich sind. Ich habe erst nach Wochen festgestellt, als endlich mal bewusst ein Erwachsenen Anteil mit meiner Therapeutin in der Klinik gesprochen hat, dass sie eigentlich eher gleich groß ist, und deutlich zierlicher. Vorher war sie immer als größer und eher bedrohlich wahrgenommen worden. Und dann gab es den Moment, wo ein männlicher Anteil da war und plötzlich war sie deutlich kleiner und keinerlei ernstzunehmende Bedrohung. Was sie selbstverständlich auch nie war, aber eben doch so wahrgenommen wurde.

 

Komisch wird es so oder so, wenn ein männlicher Anteil soweit "draußen" ist, dass er den Körper bewohnt. Naja, er wird immer nur Teile bewohnen. Der kleine Unterschied, ist einfach nicht wett zu machen. Was dann aber passiert ist zum Beispiel, dass ich viel mehr Kraft habe. Es ist dann gar kein Thema 25 kg Holzscheiben, von einem zersägten Baum aufzufangen und weiter zu werfen. Manchmal kann ich diese Kraft aktiv für ich nutzen. Ein kleines Spiel unter uns, wenn einer irgendwas nicht aufbekommt zum Beispiel und ein andere das dann macht.

 

Ganz kompliziert wird es, wenn sich verschiedene Wahrnehmungen mischen. Ein Beispiel:

Eine Igelballmassage ist für viele Menschen etwas Angenehmes. In der Klinik haben wir uns selbst uns oft mit einem Igelball abgerollt, letztendlich um uns wahr zu nehmen. Ich bin an dieser Übung jedes Mal gescheitert. Alles was die Hände und die Füße und auch noch den Kopf betraf, war o.k. Wenn aber ich angefangen habe, Arme, Beine oder gar meinen Rumpf abzurollen, ist ein Teil von mir ausgestiegen. Dann konnte ich plötzlich nicht mehr wahrnehmen, dass ich selbst, meinen eigenen Körper berühre, sondern es fühlte sich plötzlich an, als wenn ein Fremder das tut. Ich konnte meine eigenen Berührungen nicht als meine eigenen empfinden. Jeder kenn sicher solche Momente, in denen man Berührungen erfährt, die man eigentlich lieber nicht will. Vielleicht in der U-Bahn, wenn es eng wird, oder jemand der einen Umarmt, obwohl ein Handschlag es auch getan hätte…. Das kann man auch mit sich selbst erleben….

 

Und dann sind da noch die Momente, die ich auch in der Körpertherapie erst so richtig wahrgenommen habe, wenn ein Körperteil einfach verschwindet. Wenn ich meine Beine aus meinem engsten "Körperkreis", in dem ich zusammengekauert war und so bei mir, ausstecken sollte. Dann waren die Beine einfach "weg". Ich habe sie gesehen, ja, aber ich konnte sie nicht fühlen.

 

Ich habe mich seitdem beobachtet. Ich nehme die meiste Zeit des Tages meine Körper nicht war. Wenn ich Sport treibe, und eine Weile danach, dann eher. Das geht nur an Tagen, in denen ich mir "mir" im Reinen bin. Alles andere kann zu heftigen Trigger Momenten führen. In intimen Momenten natürlich im Besonderen... Ja, alles ist etwas eingeschränkt in diesem Leben. Das nervt oft!

Aber es ist alles auch schon besser geworden. Ich gehe nur noch selten am Spiegel vorbei und erkenne mich gar nicht. Ich bin inzwischen bereit, meinen Körper, auch auf die Gefahr hin, dass Trigger ausgelöst werden, wieder war zu nehmen.

 

Am Ende werde ich viel Gewonnen haben, da bin ich sicher. Dazwischen liegen noch sehr viel Arbeit und ein langer Weg, über den ich auch gelegentlich verzweifle!

 

Vielleicht nehmt ihr Euch, Eueren Körper, mal bewusst war? Vielleicht erkennt ihr parallelen, vielleicht wird Euch aber auch bewusst, wie schön es ist, einen Körper wie selbstverständlich zu bewohnen. Für viele Menschen auf der Welt ist es das eben nicht. Selbstverständlich.

 

Ela+

 

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