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Über Intrusionen und neue Erfahungen

Intrusionen sind Fragmente eines erlebten Traumas, das im unbewussten der menschlichen Psyche liegt, sich aber bis ins bewusste Feld der Wahrnehmung drängt. Dieses sich drängen in das bewusste Feld geschieht dann, wenn ein ähnlicher Reiz, wie in der traumatschen Situation erlebt, von den Sinnesorganen aufgenommen werden. Diese Reize werden auch Trigger genannt.

 

So formuliert, klingt es fast ein bisschen wie ein lebendes Ding, dass versucht sich ins Bewusstsein zu drängen und damit sichtbar zu werden. Ich finde das gar nicht so falsch. Bei mir sind es verschiedene Persönlichkeitsanteile, die sich auf diesem Weg melden und (endlich) gesehen und gehört werden wollen.

 

 

Intrusionen können ganz verschiedene Sinneskanäle betreffen. Es kann das plötzliche Auftauchen einer Emotion sein, zum Beispiel Angst, die aber eigentlich gar nicht in die Situation gehört. Es kann aber auch ein innerer Film sein, der plötzlich vor dem inneren Auge abläuft. Auch körperliche Empfindungen, die plötzlich einfach da sind, kommen vor oder auch ein plötzlicher Geruch oder Geschmack, der wahrgenommen wird. Für mich betriff es wirklich alle Sinnenskanäle.

 

Auf einem niedrigen Level permanent getriggert zu werden ist für mich ganz normal und ich musste erst verstehen, dass das nicht jedem Menschen so stattfindet. Ich erinnere mich daran, dass meine Therapeutin recht betroffen reagiert hat, als ich ihr sagte, dass es ganz normal ist, dass solche Situationen sechs-, siebenmal am Tag passieren. Jeden Tag. Ich habe da glaube ich das erste Mal begriffen, dass ich wirklich ein "belastetes" Leben führe. Ich hatte plötzlich einen neuen Bezugsrahmen, ein Gegenüber das mir sagte, dass erlebt nicht jeder und erst recht nicht so oft.

 

Das ist für mich aushaltbar aber anstrengend, weil man letztendlich permanent sortieren muss, was in der Wahrnehmung betrifft das Jetzt und was kommt von irgendwo anders her. Aber es ist eben auch normal und solang nur ein Kanal getriggert wird, durchaus erträglich.

 

Schlimm ist es, wenn mehrere Kanäle gleichzeitig anspringen. Was dann für mich passiert ist das, was man als Flachback bezeichnet. Für mich ist ein Flashback die intensivste Form von Intrusion. Das ist ein Moment, wo sich auch noch die Zeitwahrnehmung verschiebt. Dann kann ich nicht mehr auseinanderhalten, was ist jetzt, was ist Vergangenheit. Dann erlebe ich eine Vollständige Verschiebung meiner Wahrnehmung in die Vergangenheit, genau an den Punkt, wo genau diese Wahrnehmung früher stattgefunden hat.

 

Damit komme ich bis heute nicht zurecht. Das sind Situationen, wo ich heute noch automatisch so reagiere, wie ich es damals getan habe. Ich dissoziiere. Ich spalte mich ab von meiner Wahrnehmung. Gott sein Dank, findet das nicht mehr wirklich statt. Es ist nicht mehr nötig, denn ich ignoriere die kleinen intrusiven Hilferufe meiner Trauma Träger nicht mehr und gestatte ihnen, wenn ich sie über die Intrusionen wahrnehme zu erzählen, was in der Vergangenheit war. Was es ist, an dass sie erinnert werden. Sie müssen sich nicht mehr so massiv melden.

 

Früher war das anders. Ein Weg ist nämlich auch, zu versuchen zu vermeiden auf diese Auslöser zu treffen. Das habe ich sehr lange versucht. Aber wenn zum Beispiel schon das Aufschlagen eines Eis ein Triggerpunkt ist, beziehungsweise das Eiweiß auf den Fingern zu fühlen…. Ich denke es ist schnell klar, dass das ein sehr eingeschränktes Leben wäre, in einem furchtbar engen Gefängnis. Und ja, es gab eine Zeit, wo ich irgendwann einfach nur noch Angst hatte vor die Türe zu gehen. Einfach weil ich Angst hatte vor dem, was da mit mir passiert und das es nicht zu kontrollieren war. Ich war lieber gefangen als ohne Kontrolle.

 

Ich habe gelernt, das ist der falsche Weg. Ich habe gelernt diese Intrusionen als Wegweiser schätzen zu lernen. Sie ermöglichen es mir letztendlich etwas über die Vergangenheit zu erfahren.

Inzwischen, wo ich mir meiner verschiedenen Anteile bewusst bin, kann ich dann durchaus "in die Runde" Fragen und so herausfinden, wer sich da gerade meldet. So entsteht nach und nach eine Landkarte, die eine Übersicht gibt, welcher Anteil und damit auch welche Erinnerung durch was reaktiviert wird.

 

Letztendlich denke ich, muss ich auch die Stimmen, die in meinem Kopf diskutieren, als Intrusionen auffassen. Ich habe eben nicht nur Trauma, sondern Trauma Träger, einzelnen Persönlichkeiten, die sich dann zum Dialog melden. Aber jetzt, wo wir miteinander reden, wo sie mir durch die Intrusionen langsam erzählen, was sie erlebt haben, kann ich auch endlich anfangen zu verarbeiten und viele Trigger und damit auch Intrusionen verschwinden, fast magisch.

 

Als ich das erste Ei nach meinem Klinikaufenthalt aufgeschlagen habe und der übliche Ekel ausblieb… Ich kann gar nicht beschreiben, wie das war. Überwältigend neu. Eine positive Leere!

Und was noch besser ist, ich freu mich inzwischen ein Ei aufschlagen zu dürfen. Ganz besonders gerne tun es meine Kind-Anteile. Jetzt. Sie lernen gerade, wie schön es sein kann, seine Sinne kennen zu lernen und auch den eigenen Körper und können an ganz vielen Stellen endlich kindlich neugierig sein. Jetzt endlich bin ich in der Lage Dinge zu erleben und nach zu holen, die andere schon ganz selbstverständlich als Kind erfahren dürfen.

 

Es macht mich einerseits unendlich traurig, weil mir klar wird, wie früh ich „aussteigen“ musste. Anderseits bin ich dankbar, dass ich es jetzt soweit geschafft habe, das wir endlich nachholen können und dürfen.

 

Ela+

 

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