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Über ein Opferbild und Begegnung

In meinem letzten Beitrag hatte ich erwähnt, dass ich für mich das Opferbild ablehne. Auch, weil es meiner Beobachtung nach, vielen nicht Betroffenen immer noch schwer fällt mit Betroffenen "normal" und auf Augenhöhe, umzugehen, was aus meiner Sicht direkt damit zusammenhängt.

 

Ich habe das Gefühl, dass es von Wert ist, einmal genauer hinzuschauen und meine Gedanken zu dem oft vorhanden Opferbild auf zu schreiben,

 

 

 

Warum wird der Umgang mit Betroffenen von Manchen als schwierig empfunden?

 

Dass es für viele nicht Betroffene schwer ist über Thema sexualisierte Gewalt mit Betroffenen zu sprechen liegt letztendlich daran, weil dabei auch bei nicht Betroffenen, eigene Gefühle wachgerufen werden. Diese sind unter anderem Scham, Angst, Hilflosigkeit, Trauer oder Wut. Allein dadurch entsteht eine Hürde, die oft verhindert, dass mit Betroffen überhaupt gesprochen wird. Man weicht lieber einem Gespräch und damit den eigenen Gefühlen aus.

 

Aber warum entstehen diese Gefühle bei nicht Betroffenen?

 

Dass Angst, Scham und Hilflosigkeit in Gesprächen eine große Rolle spielen, liegt denke ich vor allem daran, dass in den Medien gerne, immer und immer wieder, ein Opferbild des armen, leidenden, zerstörten, eines für immer gedemütigten und gezeichneten Wesens, propagiert wird. Dieses Bild taucht innerlich in vielen Menschen auf, wenn sie auf Betroffene treffen.

 

Diese dadurch entstehende eigene inneren Angst, das eigene Schamgefühle oder die innere Hilflosigkeit, werden dann im Gespräch und in der Begegnung oft auf die Betroffenen übertragen. Es wird erwartet, dass sie sich so fühlen müssen. Auf dem Weg wird den Betroffen, die das vielleicht gar nicht so fühlen, ganz unabsichtlich vermittelt, dass es tatsächlich etwas ist, das furchtbar ängstigt und etwas ist, für das man sich mach sich schämen muss und dem man ausgeliefert und hilflos entgegensteht.

 

Dies vereitelt sofort die Möglichkeit sich als Betroffener mitzuteilen und es entsteht eine angespannte Atmosphäre.

 

Nicht Betroffenen schließen daraus wiederum, so mein Eindruck, dass durch ein Gespräch bei den Betroffenen selbst diese Gefühle und auch die schlimmsten Erinnerungen sofort wieder wachgerufen werden. Dass das darüber sprechen retraumatisierend sein muss. Es entsteht ein Teufelskreis, der keinen freien, offenen Raum lässt.

 

Was viele nicht Betroffene sicher nicht verstehen können ist, dass wahrscheinlich alle Betroffenen dadurch sich im sehr anstrengenden Spannungsfeld wiederfinden zwischen, ich möchte mich gerne mitteilen, vielleicht einfach erst mal nur darüber informieren und dadurch als Mensch vollständiger sichtbar werden dürfen. Sich wünschen, irgendwo mal ohne Maske sein zu können, aber gleichzeitig das Gefühl haben, ich kann und darf einfach nicht. Ich überfordere andere damit und es ist und bleibt ein Tabuthema.

 

Was ist mein persönliches Erleben?

 

Ich habe diese beschriebene Übertragung durch andere erlebt. Das viele aus Selbstschutz lieber nicht über das Thema sprechen, hat für mich immer bestätigt, das es nicht o.k. ist zu sprechen. Dass es für andere nicht zumutbar ist. Das ich als Person nicht zumutbar bin. Mit jeder Bestätigung wurde das Siegel des Schweigens größer. Mit vielen dieser Begegnungen hat sich zusätzlich auch das wiederholt, was in der Familie Alltag war. Alleingelassen zu werden. An einem gewissen Punkt zum Ausgestoßenen zu werden.

 

Auch meine ganz falsche Bild von mir selbst wurde bestätigt. Das Bild, dass ich etwas Abstoßendes und Dreckiges bin. Dass ich mich schämen muss, für das was mir passiert ist, wurde durch die Übertragungen der Schamgefühle anderer, immer wieder vermittelt. Und das in den Medien vermittelte Bild, hat dazu beigetragen, dass ich meine eigene Geschichte geleugnet habe, weil ich mich nicht als stigmatisiert und auf ewig zerstört empfinden wollte und nach außen ja auch nicht mit diesem Bild sichtbar war. Ganz im Gegenteil. Der Umkehrschluss, meine Erinnerungen mussten falsch sein.

 

Erlebt man eine solche „geprägten“ Gegenreaktion auf den Versuch zu sprechen, entzieht es einem zudem die Möglichkeit, das Thema mit dieser Person je wieder ansprechen zu können. Es entsteht eine weiter, verpasste Gelegenheit. Dies wieder verstärkt, dass man kein Vertrauen aufbauen kann darein, dass es je einen Raum für dieses Thema geben wird. Irgendwann versucht man es einfach nicht mehr.

 

Auch erlebt habe ich komische Reaktionen, die ein sehr seltsames Machtgefüge hinterlassen haben. Ja, du darfst mit mir sprechen, aber bitte nur dann, wenn ich es zulasse. Dass ist so, als müsse man sich an und aus schalten. Man muss erst den Raum ausloten, um dann zu wissen, wer darf ich heute sein. Wie kann mein Gegenüber heute zu mir stehen. Dieses Machtgefälle zu erleben ist triggernd und es hält Spaltung auf Identitätslevel auf jeden Fall sehr effektiv aufrecht.

 

Was immer aber mitschwingt in solchen Situationen, ist letztendlich ein Gefühl der Ohnmacht. Dieses Gefühl der Ohnmacht reinszeniert sich innerlich immer besonders dann, wenn man von anderen auf dieses stereotype Opferbild reduziert wird. Wenn einem mit extremem Mitleid begegnet wird, das Gefühl der Stigmatisierung entsteht und einem die Bewertung der Hoffnungslosigkeit der Situation entgegenschwappt. Dann wird aus der Ohnmacht im schlimmsten Fall das Gefühl, der Reaktion und dem Gegenüber ausgeliefert zu sein. Man wird, einmal mehr, handlungsunfähig gemacht.

 

Ohnmacht entsteht auch, wenn man auf dieses unberechenbare Gegenüber trifft. Wann darf ich sprechen und wann bin ich, so wie ich bin, unbequem? Dann inszeniert sich aus dem Machtgefälle die eigene Ohnmacht und zusätzlich Verwirrung und Verunsicherung. Das Gefühl irgendwie falsch, eben unbequem und nicht immer akzeptiert zu sein.

 

Aber wie soll man den gegenübertreten? Eine berechtigte Frage!

 

Zunächst einmal gerne neutral und mit Offenheit. Vor allem nicht sofort ängstlich darüber, etwas falsch zu machen in der Begegnung und nicht sofort voller tiefem Mitleid.

 

Was ich glaube für Außenstehende ganz wichtig zu wissen ist, dass alle Betroffene einen eigenen Umgang mit dem Trauma-Material gefunden haben. Sie sind alle auf ihre Weise kompetent im Umgang mit ihrer Geschichte. Darauf darf und sollte jeder vertrauen. Ich denke zudem, man kann als Gesprächspartner davon ausgehen, dass Betroffene ihre eigenen Grenzen sehr gut kennen und im Normalfall auch setzten werden.

 

Wenn man einfach akzeptiert, dass, vielleicht auch sofort, eine Grenze gezogen wird und weiter möglichst wertfrei "da" bleibt, dann tut man schon sehr viel, sehr richtig.

 

Wenn man es schafft, in einer Begegnung sich seiner eigenen Gefühlen bewusst zu sein, und sie dürfen im Gespräch gerne auch benannt werden, es aber schafft, sie bei sich zu lassen und nicht sofort auf das Gegenüber zu übertragen (in der Annahme zu wissen, was der Andere, „das“ Opfer fühlen muss) dann tut man schon extrem viel richtig.

 

Ich habe endlich im Rahmen der Therapie das erste Mal eine solche Begegnung erlebt. Eine Begegnung ohne diese Übertragung ohne die spürbare Angst und Scham im Gegenüber, sich diesem Thema zu nähern. Endlich eine ganz einfache, ehrliche und offene Frage: Möchten Sie darüber sprechen? gab mir dann die Gelegenheit zu signalisieren, nein, lieber nicht! Ich wollte mich schließlich erst mal nur zeigen und einen möglichen Raum ausloten.

 

Was bewirkt diese Haltung für Betroffene?

 

Diese Grundhaltung und diese einfache Frage haben für mich bewirkt, dass sich ein wertfreier Raum gezeigt hat und dass ich gleichzeitig meine eigene Grenze setzen konnte. Damit aktiv etwas gegen das potenzielle aufkommende Gefühl der Ohnmacht tun konnte.

 

Es mag für nicht Betroffene befremdlich sein, dass sich dies, mit jeder dann möglichen und auch stattfindenden, weiteren Annäherung an das Thema, erst einmal wiederholt hat. Etwas, was viele nicht Betroffene sicher irgendwann davon abhält, immer und immer wieder nachzufragen. Es muss für nicht Betroffene unverständlich sein, dass es X Wiederholungen dieser Situation braucht, damit sich Vertrauen in den Raum und in die Beziehung entwickeln kann. Und aus meiner Sicht, muss auch bei schon sich bekannten Menschen, eine neue Beziehung auf anderem Level entstehen.

 

Durch die immer gleiche Haltung entstand Vertrauen und durch die immer wertfreie Begegnung, konnte nach und nach auch eine Revision meines inneren Bildes erfolgen. Wenn es zumindest diesen einen Menschen gab, die bereit waren mit mir über das Thema zu sprechen und nie, weder Scham, Ekel oder Angst dabei im Gegenüber fühlbar waren, dann war mein Bild von mir vielleicht doch falsch? Und mein Bild, dass ich Opfer gewesen sein könnte, ohne vollständig zerstört zu sein, vielleicht richtig?

 

Positiv verstärkt wurde dann dieses neue Bild durch die klare Korrektur von außen:

 

Es war nicht Ihre Schuld!

 Es ist nichts, für das Sie sich schämen müssen!

 Und ganz wichtig: Ich glaube ihnen!

 

Zumindest die ersten drei sind recht einfache Botschaften, die jeder in der Begegnung mit Betroffenen aussenden kann. Auch außerhalb von Therapie.

 

Dazu kam dann die Botschaft: Ich sehe, dass Sie sehr viel mehr sind, als ein Opfer. Und das dürfen Sie auch sein und bleiben.

 

Inzwischen, wo ich auch in der Familie und auch im offenen Raum über dieses Thema spreche, bin ich auch außerhalb von Therapie gelegentlich auf diesen unbelasteten Raum gestoßen. Ich habe sogar erlebt, dass es für mich möglich wurde, dieses Bild des ewigen, leidvollen Opfers, bei anderen aktiv zu korrigieren.

 

Ich denke inzwischen, dass es in Ordnung ist, als Betroffener auf einen empathischen, anerkennenden und respektvollen Umgang hoffen zu dürfen. Es ist nicht zu viel verlangt, wenn man selbst mithilft, die Basis dafür zu schaffen.

 

Eine Basis dafür ist, dass es ein Nehmen und Geben gibt. Ein empathisches, offenes und respektvolles Miteinander von beiden Seiten, in dem sich dann ergebenden Raum. Geprägt von gegenseitiger Wertschätzung und Rücksichtnahme, wenn man merkt, dass das jeweilige Gegenüber, ob betroffen oder nicht betroffen, doch einmal in die Übertragung oder Überforderung kommt. Dann ist es besser ein Gespräch ab zu brechen und zu vertagen.

 

Letztendlich treffen dann einfach nur zwei Menschen, achtsam füreinander, aufeinander. Und das ist es doch eigentlich, was es für jede, ehrliche Begegnung füreinander braucht, oder nicht?

 

Ela+

 

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