· 

Über den Tag an dem ich wieder anfing Blumen zu pflanzen

Heute ist der Tag wo ich wieder angefangen habe Blumen zu pflanzen.

 

Ich habe schon lange einen Garten, einen großen sogar. Ich habe ihn mit dem Haus, das ich bewohne, mitgekauft. Ich mag ihn. Es fühlt sich auch wie mein Garten an. Er ist in vielen Teilen so, wie ich ihn auch angelegt hätte. Ich habe ihn die letzten zwei Jahre gepflegt, aber ich habe bisher nie eine einzige eigene Blume hinein gepflanzt.

 

 Warum fragst Du?

 

 Das Pflanzen von Blumen war etwas, dass ich immer mit meinem Vater verbunden habe. Er war der Meister unseres Gartens. Er hat mir gezeigt, wie man Blumen pflanzt. Früher eine schöne Erinnerung. Heute eher bittersüß. Ich wollte nichts mit meinem Vater mehr zu tun haben, auch nicht in meinem Kopf. Die Folge, ich konnte keine Blumen mehr pflanzen.

 

Aber das graben in der Erde beruhigt mich. Ich liebe und brauche es. Ich habe in den letzten Tagen alle meine Beete von Unkraut befreit, habe Büsche zurückgeschnitten, verwilderte Ecken zurückerobert. Die ganze Zeit im Kopf war der Anhörungstermin für die UBSKM. Gestern, am Abend vor dem Termin, gab es plötzlich Platz in meinem Beet, der gefüllt werden wollte. Vielleicht hatte ich unbewusst Platz geschaffen für Neues?

 

Ich habe mich heute, nach der Anhörung, durch den Tag treiben lassen. Hatte mir bewusst vorher den Raum dafür geschaffen, um ganz weit weg vom funktionieren müssen zu sein. Ich habe mich wiedergefunden im Blumenladen und habe ausgesucht was in das Beet soll. Schöne Blumen, weiß und lila. (Jeder innen hatte da eigene Meinungen.) Und in meinem Wagen standen auch Schwertlilien. Meine Lieblingsblumen, aber auch eine sehr enge Verbindung zu meinem Vater. Es sind auch seine Lieblingsblumen….

 

Und dann war ich da, vor dem leeren Beet mit unseren Blumen und ich habe sie gepflanzt. Es hat sich richtig angefühlt und dennoch war da eine sehr seltsame Mischung an Gefühlen und sie sind auch jetzt da, wo ich darüber schreibe. Trauer, Wut, Erleichterung. Viel von diesen drei. Aber auch eine neue innere Aufrichtigkeit mir/uns allen gegenüber, Stolz aber auch Demuth. Und mit den Gefühlen kommen die Dialoge meiner Anteile in mein Bewusstsein. Irgendwann war die Frage, von einem weisen mich oft leitenden Anteil, die hervorstach: Was begräbst oder vergräbst Du da eigentlich?

 

Ja, tatsächlich. Ich habe ein Grab geschaffen, ein sehr hübsches wie ich finde. Und in diesem Grab liegt endlich der letzte Zweifel an mir, an uns. An unserer Geschichte. Das erste Mal gehe ich aus einem Gespräch, einem in Teilen konfrontativen bezüglich der Inhalte, und kann mir ganz klar und gelassen selbst Gegenüberstehen und sagen: Du hast nicht gelogen. Das was du gesagt hast, was du von anderen Anteilen weitervermittelt hast, ist vor deinem Gewissen die Wahrheit. Das erste Mal schweigen die Stimmen, die mir das immer wieder einreden wollen! Und sie haben es auch nicht geschafft den Termin zu verhindern. Wir sind inzwischen schlauer. Kennen ihre Blockaden, ihre Strategien.

 

Ich habe mich heute ein erstes Mal "öffentlich" Gewehrt. Ich habe das geschafft, was ich mir gewünscht habe. Für mich die Chance zu nutzen und den Mut zu finden, offen und frei zu sagen was ich erlebt habe. Es ist dokumentiert unwiderruflich. Ich habe jetzt Macht über diese Stimmen.

 

Dieser endlich begrabene Zweifel wird der Nährboden sein aus dem Kraft entsteht. Noch mehr Kraft. Dafür, sich weiter zu wehren.

 

Ich habe für mich nie die Opferrolle gesehen oder akzeptiert und dennoch habe ich sie heute eingenommen. Dadurch, dass ich mir eingestanden habe, dass ich mich wehre. Wogegen ich mich endlich wehre. Ein Meilenstein!

 

Ja, es war emotional und ja es sind auch Tränen geflossen. Aber es war nicht schwach. Wir waren nicht schwach. Wer sich endlich wehrt, sich endlich wehren kann, kann nicht schwach sein. Er oder Sie ist stark! Er oder sie hat Machtverhältnisse so sortiert, wie sie eigentlich sein sollten.

 

Allein das alles ist so viel und gleichzeitig war es doch auch noch so viel mehr. Es war mir ein Bedürfnis und eine Ehre, als Betroffene Stellung nehmen zu können zu Fragen wie: Was müsste aus Ihrer Sicht gegen Missbrauch in Deutschland getan werden? Was müsste sich aus Ihrer Sicht in der Gesellschaft ändern? Was müsste die Politik tun? Was hilft Betroffenen am meisten? Was ist das Wichtigste für Betroffene?

 

Und was ich erleben durfte war Aufrichtigkeit in meinem Gegenüber. Es war kein Abarbeiten eines Termins. Es war ehrliches Interesse an dem was wir gesagt haben. Ja wir! Denn wir mussten uns nicht verstecken. Wir durften als Wir sprechen. Wir durften sagen, was zum Wir geführt hat und auch was es heißt als Wir zu leben. Überhaupt, was es für uns bedeutet mit den Folgen zu leben.

 

Es gab keine komischen Blicke oder Wertung gegenüber dem was wir gesagt haben. Es war eher das Gegenteil. Es war die Antwort: Das war Sie sagen, hören wir nicht zum ersten Mal. Es ist wahr! Das könne wir gar nicht oft genug hören!

 

Ich habe nicht alles gesagt, dafür reicht einfach die Zeit gar nicht. Aber darum ging es auch nicht. Es ging in keinster Weise darum möglichst detailliert zu sein. Reißerisch. Drastisch. Es durfte um Authentizität und Ehrlichkeit gehen. Es durfte klare Worte sein, auch kritische Worte. Ohne Wertung von einem Gegenüber. Genauso wie wir es gebraucht haben. Es war unser Raum, den wir gestalten konnten. Ein großes Geschenk!

 

Nicht jeder Betroffen wird diesen Weg gehen, eine Anhörungstermin warnehmen oder warnehmen wollen. Das finde ich verständlich. Was ich aber jedem einzelnen Betroffenen von herzen Wünsche ist, dass er oder sie in seinem Leben einen solchen Raum findet und ihn für sich nutzen kann. Und anschließend wünsche ich ihr oder ihm ein Beet, vielleicht ein methaphorisches, imaginatives oder eben auch ein reales, um endlich den Selbstzweifel begraben zu können. Denn den, kennen wir wohl alle irgendwie.

 

Ich bin durch dieses Geschenk heute ein weiteres kleines Stück freier als gestern noch. Ich kann wieder Blumen pflanzen. Dafür bin ich sehr dankbar.

 

Ela+

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0