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Über den Bruch mit der Herkunftsfamilie

Als ich irgendwann angefangen habe in meinem engsten, vor fast zwanzig Jahren angeheirateten, Familienkreis Transparenz zu schaffen über meine Familie und meine Geschichte, war die spontane Reaktion aller: Wir möchten keinen Kontakt mehr mit diesen Menschen. Und auch die Frage, wie kannst Du ihnen noch gegenübertreten?

 

Für nicht Betroffene war sehr klar, wer ist Opfer und wer ist Täter.

 

In uns selbst war das nicht so klar. Ich versuche hier ein bisschen zu erklären, warum es, trotz allem, so schwer ist Kontakt ab zu berechne und was es alles gebraucht hat, um diesen Schritt möglich zu machen.

 

Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir mit der Herkunftsfamilie schließlich gebrochen. Ich habe versucht den Dialog zu suchen und habe versucht einen Aufarbeitungsprozess für die ganze Familie an zu stoßen. Leider war es zu spät! Unser Familiensystem war nicht mehr änderbar. Wir wurde nicht gehört, sondern die Schuld wurde wieder uns übergeben, Tatsachen dementiert. Wir als eben krank abgeurteilt. Der Bruch war am Ende Selbstschutz.

 

Alle meine Therapeuten haben unabhängig exakt dieselbe Formulierung gefunden: Es ging darum, mich, meine Kind-Anteile, endlich zu retten. Im ersten Moment hat mich diese Formulierung schockiert. Retten, das klang zu heftig. Inzwischen verstehe ich es, jetzt wo die Trennung wirklich vollzogen ist. Die traumatisierten Anteile, werden heute nicht immer und immer wieder in zwischenmenschliche familiäre Reinszenierungen geworfen. Es herrscht endlich Ruhe vor den Tätern. Erst das macht es den Trauma-Trägern möglich, sich "aus der Deckung" zu wagen und sich mit den Schrecken aufarbeitend auseinander zu setzten.

 

Den Kind-Anteilen in mir war es trotz allem fast unerträglich, diese Bindung an die Menschen, die für das Überleben der ersten Jahre in jedem Leben unentbehrlich sind und daher immer geschützt werden, los zu lassen. Die amnestischen Barrieren des nicht Wissens mussten erst einmal so weit aufgelöst werden, dass alle Anteile eine Ahnung hatten, was passiert war. Gleichzeitig mussten Muster durchbrochen werden, die systematisch aufgebaut worden waren, vor allem zum Täterschutz. Und es gab einfach immer noch die unendliche, kindliche Sehnsucht irgendwann einfach bedingungslos geliebt zu werden. Ein Prozess, der über zehn Jahre gedauert hat.

 

Was es vor allem gebraucht hat, um schließlich da hin zu kommen, ist Selbstbewusstsein und Selbstwert.

 

Ich musste erst wissen, was und wer ich bin und was wirklich alles im Verborgenen lag und dass ich meiner Wahrnehmung und den Bildern trauen kann. Dieses Vertrauen in mich selbst, in uns, war systematisch zerstört worden, um Täterschutz sicher zu stellen. Wir haben uns bis vor kurzem selbst nicht geglaubt. Uns selbst kranken Fantasien und der Lüge bezichtigt.

 

Und dann musste ich es mir selbst Wert sein, mich zu schützen und eben zu retten. Ich musst meinen Wert und mein Bedürfnis über den anderer Menschen stellen. Etwas was mir in Bezug auf meine Eltern neu war. Ich musste mehr werden als nur die gehorsame, schweigende, und dann auch geliebte, Tochter.

Einem Teil von mir wurde konsequent beigebaracht: Du hast keinen Wert. Ein Teil von mir war als Besitz definiert und zum absoluten Gehorsam "erzogen", widerspruchslos zu tun, was gefordert wurde. Meine Therapeutin hat mir das Wort "gefügig gemacht" zur Verfügung gestellt. Ich fürchte das ist nicht übertrieben, auch wenn ich die Worte selber nicht finden konnte.

Im restlichen Leben gab es immer Erwartungen. Bei erreichen wurde uns Wert zugesprochen. Oft waren sie aber unerreichbar hoch formuliert. Das ich als Mensch einen Grundwert habe auch ohne Leistung, war bis vor nicht allzu langer Zeit ein neues Konzept für mich.

 

Und schließlich musste ich soweit im "Wir" ankommen, dass die Kind-Anteile im inneren von der inneren Erwachsenen-Struktur getragen wurden. Dann endlich war die Emanzipation möglich.

 

Gott sein Dank hat ein rebellischer Teil im Verborgenen überlebt, der es möglich gemacht hat, irgendwann an dem Bruch und der "Befreiung" zu arbeiten. Ich habe mich lange auf den Moment vorbereitet. Ein Fragebogen, den ich online gefunden hatte, hat mir als Richtschnur gedient, was es vielleicht alles zu bedenken gibt. Es war gut und richtig es so bewusst vorzubereiten. So habe ich mich auch mit der Frage beschäftig, wie reagiere ich, wenn wieder die alten Muster greifen. Wenn ich als falsch, als krank oder als Lügner bezeichnet werde.

 

Mir war klar, dass wenn ich nicht gehört werden kann und ein ehrlicher und offener Dialog nicht möglich wird, dann muss ich den Kontakt abbrechen. Tatsächlich ist genau das passiert. Es wurde dementiert, die Schuld zurückgegeben und wir als bemitleidenswert krank bewertet. So waren alle im Inneren vorbereitet und wir konnten den Schritt des Kontaktabbruchs gehen.

Heute weiß ich, dass dieser Schritt notwendig war, egal wie schmerzhaft. Dieser Schritt hat letztendlich erst für die nötige Stabilität gesorgt, damit es dann auch möglich wurde, sich der inhaltlichen Konfrontation zu stellen.

 

Ela+

 

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