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Über eine Generation des Schweigens und eine mögliche Aufgabe im Heute

Es erschüttert mich immer wieder wie schweigsam Betroffene sind. Jetzt, wo ich zu dem Thema Traumatisierung und auch über Ursachen und Folgen offen kommuniziere, höre ich in Gesprächen immer wieder, ich habe da auch ein Thema, aber ich habe das nie jemandem gesagt oder will mich damit beschäftigt.

Warum ist das so? Warum verhalten wir uns so? Warum findet dadurch in unserem Land immer noch mehr Täter- als Opferschutz statt? Zwei Ideen dazu möchte ich etwas beleuchten….

 


Ein Faktor liegt aus meiner Sicht in unserer gesellschaftichen Geschichte. Der Geschichte eines Weltkrieges auf "eigenem" Boden, der unsere Gesellschaft bis heute prägt. Eine ganze Generation wurde traumatisiert, in ganz unterschiedlicher Weise. Männer, Frauen und Kinder.

Nach dem Krieg ging es sehr, sehr lange noch um das reine Überleben, nicht um die Aufarbeitung. Überforderte Frauen trafen auf überforderte Männer. Beschämte Menschen lebten zusammen, ohne sprechen zu können.

Überforderte, beschämte Menschen, die schweigen müssen über das was in ihnen vorgeht, neigen zu Befreiungsschlägen unterschiedlichster Art und sei es "nur" verbal. Was in dem Wort Befreiungsschlag jedoch inbegriffen ist, ist das Bild des Schlagens, ergo Gewalt. Überforderte Menschen, die im Überlebensmodus sind, reagieren oft mit Gewalt. Oder mit Ignoranz. Dazu später. Schauen wir erst einmal etwas genauer hin zu Gewalt.

Viele Frauen, die vor dem Krieg geheiratet hatten, und auch Kinder, waren nach dem Krieg gezwungen, mit Männern zusammen zu leben, die als "andere" Männer, "gewaltvollere" (=von Gewalt gefüllten) Männer, nach Hause kamen. Trennung war selten möglich. Auch für Frauen geht Krieg einher mit unfassbarem Schrecken. Es geht jeden einzelnen Tag ums Überleben.
Die meisten, Männer wie Frauen, schwiegen über das was ihnen wiederfahren war oder was sie selbst getan hatten. Vielleicht gezwungen waren zu tun, fürs Überleben.
Eine ganze Generation versank im Schamgefühl. Schamgefühl erzeugt Sprachlosigkeit und damit Schweigen.
Man stürzte sich stattdessen in Arbeit. Eine ganze Generation versuchte so schnell und so gut es ging eine "heile Welt" auf zu bauen und im gleichen Atemzug zu vergessen. Eine goldene Decke wurde über ein wankendes gesellschaftliches Gerüst geworfen.
 
Und damit kommen wir auch zurück zur Ignoranz.

Eine Theorie von mir ist, dass Betroffene am wenigsten von denen gehört werden, die selbst betroffen sind von Traumatisierungen. Vor allem, wenn sie sich, mit dem was ihnen passiert ist, nicht auseinandergesetzt haben. Zu sehr werden ihre eigenen Dämonen geweckt, die sie nicht ertragen. So enden Familien über Generationen in einem Teufelskreis.

Die vielen Glaubenssätze, die sich in dieser Zeit entwickelt haben zeugen von all dem, was ich oben beschrieben habe und viele davon gelten viel zu oft auch heute noch.

· Ein Klapps hat noch keinem geschadet.
· Indianer weinen nicht.
· Erst die Arbeit und dann das Vergnügen.
· Ach, so schlimm wird es schon nicht gewesen sein.
· Vergiss es einfach ganz schnell wieder.
· Stell dich nicht so an, mir hat das auch nicht geschadet!
· Ich glaube, da denkst du dir was aus/spinnst du dir was  
  zusammen.
· Der XY doch nicht, der ist doch so nett. (Das sind die
  meisten und die beste Tarnung!)
· Ganz ehrlich, so wie du rumläufts/verhältst, brauchst du
  dich nicht wundern.
 
Haben wir sie nicht allen irgendwann einmal gehört, so oder so ähnlich?
Das Bittere ist, sie wirken gleichzeitig als Täterschutz und gegen die Opfer...

Ich selbst habe eine studiere, moderne und selbstbewusste Frau aus meinem Bekanntenkreis auf einem Kinderflohmarkt beim Betrachten eines (zugegeben sehr kurzen Mädchenrock) sagen hören: "Na, wer seinem Kind so was anzieht, ist selbst schuld, wenn etwas passiert."
Ich habe sie angesprochen, dass da wohl ein alter Glaubenssatz aus ihr spricht und sie gerade, sicher ungewollt, Täterschutz betreibt. Sie war sehr nachdenklich und selbst erstaunt, wo dieser Satz in ihrem Kopf herkam. Sie hat sich bedankt, dass ich sie aufmerksam gemacht habe, für das, was der Satz aussagt. Du bist selbst Schuld, nicht der Täter!
 
Und genau da liegt heute unsere Chance, wo wir im Frieden und in Wohlstand leben. Wir  können diese Glaubenssätze überwinden und verändern. Wir können beginnen aufzuarbeiten und ich denke wir haben die Verantwortung es zu tun. Für uns aber damit verbunden auch für die nächste Generation, für unsere Kinder!
 
Ela+

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