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Über defizitorientierte Kommunikation

Ich hatte letzte Woche mal wieder eine für mich unverständliche Begegnung mit einer Erzieherin im Kindergarten.

An sich halte ich sehr viel von ihr, weil sie sehr engagiert ist und gut ausgebildet und sich auch selbst gut fortbildet und wirklich das Beste für die Kinder will.

Aber was ich einfach nicht verstehen kann, ist ihr Blickwinkel auf die Kinder und ihr Weg der Kommunikation. Sie sieht ein Kind und sieht die Defizite, die jedes Kind, jeder Mensch hat und immer auch haben wird, weil wir eben einfach alle unterschiedlich sind. Und es ist ja gut, dass sie sie sieht, denn sie hat als Erzieherin im Kindergarten den Auftrag die Kinder auf die Schule vor zu bereiten. Das tut sie mit Engagement und versucht die Defizite zu bearbeiten. Was dabei allerdings leider passiert ist, dass die Kommunikation immer in der Richtung ausfällt, das kannst Du noch nicht gut, das müssen wir üben…..

 

Warum? Warum sieht sie nicht, dass sie damit bei machen Kindern genau das Gegenteil erreicht, weil sie einfach das Selbstbewusstsein untergräbt? (Und auch meins als Mutter, denn auch ich höre immer nur, was mein Kind alles nicht kann!)

 

Ich habe lange als Reitlehrerin gearbeitet. Auch mein Blick war automatisch auf Defizite von Pferd, vom Reiter und auch in ihrem Zusammenspiel gerichtet. Denn darum geht es natürlich. Ein Schüler erwartet Hilfestellung und eine möglichste schnelle Verbesserung. Geht man an die offensichtlichen Punkte ran und verändert sie, hat man oft einen schnellen Erfolg. Was aber dabei auch ganz oft passiert sind zwei Dinge. Der Reiter erlebt sich als defizitär und ich weiß nicht ob, das das richtige Wort ist, er wird unflexibel und fest und eben auf die Behebung des Defizites konzentriert. Dieses überträgt sich sofort auf das Pferd. Es wird fest und plötzlich geht gar nichts mehr. Druck erzeugt Gegendruck und ein negativer Kreislauf ist angefangen. Leider ist es dann ganz oft so, dass am Ende das Pferd an allem Schuld ist, denn der Reiter macht jetzt ja laut Anweisung alles richtig….und dann?

 

Zurück zu den Kindern. Ich erlebe es gerade bei meiner Tochter. Ihr Selbstbewusstsein wird untergraben. Allein traut sie sich nichts mehr zu. Die Erzieherin "beschwert" sich nun, sie macht nur noch was, wenn ich danebenstehe. Korrekturen will sie nicht mehr hören und will nicht lernen, sie macht zu. Ja, kann ich verstehen. Ich würde durchaus auch so reagieren. Warum etwas allein machen, wenn ich höre, dass kannst Du ja noch nicht. Und ich würde auch zu machen, wenn ich ständig korrigiert werde……

 

Was für eine Alternative gibt es? Gibt es eine? Ich denke schon. Und hier kommt die Verknüpfung auch zu uns und unserem System, in dem eben alles über Kommunikation läuft und Zusammenarbeit eben nur gewährleitet wird über Konsens und Bestärkung.

Erklären möchte ich es trotzdem an dem Beispiel Reitsystem, Pferd und Reiter. Wenn ich ein Reitsystem als Lehrer vor mir hatte, habe ich immer das ganze Bild betrachtet. Körperliche Defizite beim Pferd, Ausbildungstand, eben das aktuell mögliche Vermögen. Dasselbe beim Reiter. Allein die Beinlänge, die Oberkörperlänge oder das Gewicht (und ja, es waren sogar Schüler dabei mit echten Handikaps wie einem verkürzten Arm o.ä.) können einen enormen Unterschied machen! Und vor allem habe ich auf die Kommunikation im System geachtet. War sie liebevoll, wertschätzend oder von Raubtiercharakter des erwarteten Gehorsams geprägt. War sie vielleicht genau andersherum von Angst vor dem Pferd geprägt oder einfach am Pferd vorbei. Ich habe immer da angesetzt wo etwas gut funktioniert hat und habe immer erst ins Bewusstsein des gesamten Systems getragen was gut funktioniert.

 

Ich habe kein System erlebt, dass dadurch nicht eine Lockerung und einen positiven Aspekt erfahren hat. Von da aus bin ich immer in der Art weiter gegangen, dass ich positiv formuliert hab, was passieren muss, um das noch zu verbessern. Ganz automatisch wurden damit auch Defizite "abgeschliffen". Das ist eindeutig der zunächst längere Weg. Aber der der Selbsterfahrung, nämlich der Erfahrung der Selbstwirksamkeit des Potentials zu einer Verbesserung zu kommen, immer der entscheidende Schritt. Was ich immer dazu vermittelt habe ist das Ausprobieren von zwei Möglichkeiten und der Abfrage, was hat im Gefühl besser funktioniert. Eben das Ermöglichen der Selbsterfahrung. Erfährt man die Wirkung eines Fehlers, wird er einem eben auch ganz anders bewusst und die Bereitschaft zur Veränderung ist plötzlich da. Und auf einmal kommt man sehr schnell weiter. Das Ganze mit Bildern zum besseren Verständnis gewürzt und gerne auch Mal mit Humor und sich selber zum Affen machend erläutert, kommt man dahin, das der Schüler eine Weg findet, sich selber zu analysieren, sich konstruktiv zu hinterfragen und auf einmal sich auch selbständig weiter zu entwickeln. Und das sollte doch das Ziel sein. (Und Lachen hat eine sehr interessante lockernde Wirkung, wenn sich etwas festgefahren hat und der Körper und die Kommunikation "fest" ist.)

 

Also: Warum sagen Pädagogen: Nein, den Stift musst du besser so halten, so ist das nicht richtig, oder so geht das nicht!

Warum schlagen sie nicht vor, in der Art wie: Oh, dass hast Du aber schön ausgemalt. Aber hier in den Ecken, da bist Du nicht so gut drangekommen (oder hast drüber gemalt), oder? Darf ich dir einen Tipp geben, wie das vielleicht besser klappen kann? Ich mache das immer so…

Und nach dem Zeigen einen Vorschlag anbringen. Probiere doch einfach mal aus, ob das für Dich vielleicht auch besser geht, o.k.?

 

Das ist zumindest mein Weg, wie ich meine Kinder erziehe, meine Pferde und auch in meinem Innenleben kommuniziere. Ich denke, der Erfolg hat mir bisher Recht gegeben. Und letztendlich gibt es nicht den Weg, sondern viele mögliche Wege zum Erfolg zu kommen. Und den wird man immer nur im Dialog finden und indem man die Bereitschaft zur Veränderung vermittelt. Kinder sind Kompetent! Sie wissen viel mehr über sich selbst als die Außenwelt!

 

Meine Tochter sagt im Kindergarten in der Öffentlichkeit des Morgenkreises wohl nichts…. Ja, in fremder Umgebung spricht sie nicht gerne, beantwortet einfache Fragen oft nicht. Körperlich ist sie sehr fit. Ich habe sie aus dem Kindergarten in lange Sommerferien genommen. Eine offensichtliche Erleichterung für meine Tochter, die sich mehrfach in den ersten Tagen rückversichert hat. Heute muss ich nicht in den Kindergarten, oder?

 

In den ersten Tagen habe ich sie ermutig, dass sie Fahrradfahren lernt. Etwas von dem ich sicher war, dass sie in kürzester Zeit meistern wird. Hat sie auch, inklusive eigenem, allein Anfahren. Wir haben am nächsten Tag ein eigenes, lila Fahrrad, abgeholt. Ich habe sie eingeladen allen von dem Erfolg zu erzählen. Und siehe da, sie sprach mit Fremden in fremder Umgebung. (Z.B. als wir zusammen das Fahrrad abgeholt haben) Und als in ihr völlig Fremder Umgebung (wir haben meinen Sohn von einem Kindergeburtstag abgeholt, bei einer Familie, die gerade neu in die Nachbarschaft gezogen ist) eine für sie völlig fremde Person fragte: Und wie alt bist Du? Kam plötzlich wie selbstverständlich die Antwort: Ich bin vier und auch die richtige Anzahl der gezeigten Finger! Da war sogar ich erstaunt, denn das gab es noch nicht bisher!

 

Bin ich hier also so auf dem Holzweg, es besser zu wissen als diese Pädagogin?

Ich denke nicht!

 

Ela +